Gesellschaft
Einblicke von Poetry Slammerin Veronika Rieger
Eine himmlische Familie

Meine Mama nannte meine zwei kleinen Brüder immer ihre Engerl, mit einem riesen B davor. Also Bengerl. Ich nannte sie meine zwei Monster, ich fand, das kommt aufs Selbe drauf raus. Jetzt sind die zwei (B)Engerl beide über 2 Meter groß, verdienen weit mehr als ich und nennen mich Kleine. Ich glaub, das ist das, was man wiederkehrende Gerechtigkeit nennt. Aber Tage mit ihnen sind sommerhellblau und riechen nach Eis und in der Sonne trocknenden Haaren.

Wenn die Tage manchmal dunkelblauschwarz
werden, dann sind die Wege, die einen aus dieser Phase rausholen könnten, oft vermeintlich vermint, jeder Schritt ein Wagnis. Und irgendwie, ich weiß nicht woher, sind da oft auf einmal Menschen, die aus dem Nichts auftauchen und sagen: „Ja, läuft scheiße. Aber fürchte dich nicht, kriegen wir hin.“ Meine beste Freundin ist so ein Mensch und sie ist wohl der am seltsamsten aussehende Engel der Welt: Bunt gefärbte Haare, jede Strähne eine andere Schattierung, ein Nasenring, etliche andere Piercings, viel zu klein für große Harfen und ein viel zu großes Herz, als dass es Flügel jemals tragen könnten.

Mein Stiefvater wär glaub ich auch ungeeignet für Flügel, er ist eher so der Münchner im Himmel, zumindest wenn Bayern wieder gewinnt. Und Größe und Statur ähneln Aloisius auch ziemlich. Aber sein Bier trinkt er meistens alkoholfrei und das würde dem Aloisius wohl eher nicht gefallen und seine Stimme ist viel weicher und lieber und freundlicher als der Aloisius ist er auch, jedenfalls wenn er nicht grad das Granteln anfängt.

Bei meiner Oma hingegen muss die Freundlichkeit manchmal ihrer Direktheit weichen und ich muss meistens Federn lassen. Weil ich zu dick bin, sagt sie. Und dann schiebt sie mir den Kuchen hin, muss man nicht verstehen, glaub ich. Dass sie eine herzensgute Frau ist, würde ich trotzdem nie bestreiten, sie ist halt gut im Federn rupfen. Und mein Opa, naja, der putzt den Sonnenwagen, das neuste Auto, Rad oder alle anderen fahrenden Sachen, die er so findet. Ich würde mal sagen, er ist der Gerätewart-Engel, der immer alles sofort reparieren kann und so lange alles blitzt und bloß keine Fingerdapper drauf hat, ist er damit echt glücklich.

Gut im Rupfen ist meine Stiefmutter mit Sicherheit auch, einfach weil sie Fränkin und, wenn es um Essen und dessen richtige Zubereitung geht, bei uns daheim Fachfrau Nummer eins ist. Und wenn sie dann vom Nürnberger Christkindlesmarkt erzählt und den halben Text des Christkinds vom Rathausbalkon gleich hinterher, dann kann man den Glühwein und die Lebkuchen auch im Sommer riechen und man kann sich sicher sein, sie hat ihr Paradies gefunden.

Mein Papa ist für paradiesische Zustände im eigenen Garten oder auch überall sonst immer zu haben, ein typischer Engel ist er aber wirklich nicht. Er ist eher so der Engel mit Hemd und Krawatte. Er kann auch wirklich nicht singen und ist musikalisch wirklich, wirklich weit entfernt von Halleluja-Gesängen. Ich glaube, von seiner Wolke würden wenn dann Deep Purple oder seine geliebten Rolling Stones schallen. Aber er ist der Kämpfer-Engel, der die Sorgen anderer aus der Arbeit manchmal sogar bis heim auf sein Wolkenkopfkissen nimmt. Meine Engel haben alle eins gemeinsam: Sie sind nicht perfekt. Sie haben keine ellenlangen Flügel, sie sind nicht wunderschön und riesengroß (okay, die meisten zumindest nicht), sie sind keine kleinen nackigen Kinder mit goldenen Locken, sie haben keine Harfe unterm Arm, schweben auf keiner Wolke, schießen keine Pfeile, um Menschen ineinander zu verlieben und sagen auch keine Prologe auf dem Nürnberger Rathausbalkon auf (aber manchmal in unserer Küche). Aber sie haben ein großes Herz, in dem immer genügend Platz ist für kleine und große Sorgen anderer und in dem man immer ein warmes Eck findet, um sich darin auszuruhen. Und, ganz ehrlich, das ist für mich alles, was meine Engel wirklich können müssen.

 

Text: Veronika Rieger

Über die Autorin:

Veronika Rieger studiert Theologie in Berlin und ist Poetry Slammerin. Im März arbeitete Sie im Rahmen eines Praktikums in St. Jakob mit.