Cityreformation damals
Ein fiktives Gespräch mit dem Lorenzer Prediger
„Sagen Sie mal, Herr Osiander …“

Heute treffe ich mich auf einen Kaffee mit einem ungewöhnlichen Gesprächspartner. Ich kenne ihn bisher nur entfernt. Ganz dunkel hängt sein Porträt in der Sakristei der Lorenzkirche. Weit oben. Man kann ihn dort nicht besonders gut sehen; dafür müsste er schon besser in Szene gesetzt werden. Dabei war das früher weniger sein Problem, wie ich mir sagen ließ. Ich frag ihn einfach selbst.
Herr Osiander, schön, dass Sie sich Zeit nehmen auf einen Kaffee am Hans-Sachs-Platz. Haben Sie sich früher, als Sie anfingen in Nürnberg, manchmal die Zeit genommen für eine solche Pause?
Andreas Osiander: Ehrlich gesagt, nein. Ich hatte wirklich alle Hände voll zu tun, kaum war ich hier in Nürnberg angekommen. Zuerst als Hebräischlehrer im Augustinerkloster – das ging ja noch. Da musste ich zwar unterrichten, aber ich hatte auch noch einigermaßen Zeit zum eigenen Studium der alten Sprachen und der Heiligen Schrift. Ich lernte sie in diesen Jahren mit neuen Augen lesen. Viele trafen sich damals bei den Augustiner-
eremiten. Bei Ihnen heute würde man sagen: in einem „Club“. Sie nannten sich „sodalitas Staupitziana“, später dann „Martiniana“.

Wer war da so dabei?
Andreas Osiander: Das waren schon illustre Leute. Allen voran Johann von Staupitz, der Generalvikar der deutschen Augustinereremiten, den sie ab und zu nach Nürnberg eingeladen hatten. Dann natürlich Wenzeslaus Linck, der dort als Ordensvater regelmäßig predigte. Unter den Zuhörern waren häufig Willibald Pirckheimer und der Ratsschreiber Lazarus Spengler. Auch Albrecht Dürer kam vorbei.
Und Ihre Rolle in diesem Zirkel?
Andreas Osiander: (lacht) Wissen Sie, ich war ja noch sehr jung, grad mal um die 20. Ich hab die Ohren aufgemacht und alles, was ich hören konnte und zu lesen bekam von der neuen Wittenberger Richtung aufgesogen. Bei der „sodalitas“ war ich immer dann besonders gefragt, wenn es ums Übersetzen der hebräischen Schriften des Alten Testaments ging. Kein Wunder! Das machte mir so schnell keiner nach (grinst).

Hatten Sie sonst noch ein „Steckenpferd“?
Andreas Osiander: Hören Sie bloß auf damit! (wirkt ärgerlich; wird rot). Das erinnert mich an diese unsäglichen Schembartläufer. Die sind mit Steckenpferden durch die Gegend gehüpft. Sie haben mich dermaßen unverschämt hochgenommen. Eigentlich war das wilde Fasnachtstreiben ja längst beendet mit der Reformation in Nürnberg. Aber dann haben sie es doch noch einmal gewagt 1539. Und ich traute meinen Augen nicht, als sie mit ihrer „Hölle“, ihrem Faschingswagen, an meinem Haus vorbeifuhren. Was muss ich sehen: Da steh ich selbst – sie hatten einen als Osiander verkleidet – mitten in einem Narrenschiff und halte ein Backgammon im Arm. Als ob ich das jemals gespielt hätte!! Würfelspiel, Narretei, Zeit totschlagen mit unsinnigem Zeug! Das war mir doch zuwider.
Entschuldigen Sie. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Herr Osiander. Vorhin wollte ich Sie nur fragen: Was lag Ihnen – außer dem Hebräischen – noch besonders am Herzen?
Andreas Osiander: Ja, gut. Das klingt schon anders. – Wissen Sie, was mich faszinierte, waren die Ideen von Nikolaus Kopernikus. Wir haben uns öfter ausgetauscht. Nicht per Mail, wie Ihr heute, sondern mit Briefen. Als er dann sein Werk „De revolutionibus orbium coelestium“, auf Deutsch „Über die Umläufe der Himmelskörper“, veröffentlichen wollte, hab ich ein Vorwort dazu geschrieben. Das war mir eine Ehre. Auf mein Betreiben hin wurde das Werk auch in Nürnberg gedruckt.

Was waren Ihre Hauptaufgaben, als Sie 1522 nach St. Lorenz als Prediger kamen?
Andreas Osiander: Erst mal war ich darüber natürlich richtig stolz. Dass die mich, den Gunzenhausener Jungen, als Hauptprediger haben wollten! Dem Propst Pömer bin ich heute noch dankbar dafür. Er hatte mich in der Sebalduskirche gehört und mich dann gleich nach Lorenz mitgenommen. – Ich hab dann schon ordentlich vom Leder gezogen jeden Mittwoch und Sonntag bei den Predigtgottesdiensten. Am liebsten war mir die regelmäßige, fortlaufende Bibelauslegung, die „lectio continua“. Macht Ihr das heute eigentlich auch manchmal? – Das lohnt sich!

Was kam denn dann noch an Aufgaben dazu? Sie waren ja auch oft in anderen Städten unterwegs. Mehr so als „Gutachter der Reformation“?
Andreas Osiander: Ja, das ist ganz gut ausgedrückt. Nachdem das Religionsgespräch 1525 gezeigt hatte, dass in Nürnberg die Zeichen auf Fortschritt stehen, wollten auch andere Städte wissen, wie wir das nun organisieren in Nürnberg. Ich hatte nicht nur das Gespräch im Rat 1525 vorbereitet „Grund und Ursach“ für alles benannt, was wir aufgrund des „neuen Glaubens“ ändern wollten und mussten. Weil ich das Ganze schriftlich zusammengefasst hatte und zudem so reden konnte, dass immer eine Menge Leute mir zuhörten, konnte man mich damit auch ganz gut auf Reisen schicken.

Irgendwann war damit aber Schluss.
Andreas Osiander: (nickt) Ja, – war mir dann aber auch ganz recht. Ich hab nie ein Blatt vor den Mund genommen. Auch nicht in Worms, wo ein Nürnberger Gesandter so blasiert daher geredet hatte. Dem bin ich über den Mund gefahren. Das war´s dann. Die Herren im Nürnberger Rat waren mir sowieso nicht mehr wohlgesonnen. Ich kostete ihnen zu viel. Dabei war das Salär, das ich gefordert hatte, meine 200 Gulden jährlich, angemessen, für das, was ich geleistet habe. Schließlich hab ich denen nebenbei noch eine ganze Kirchenordnung gezimmert!

Man hat Ihnen später allerhand angedichtet, Herr Osiander. Zum Beispiel sagten Ihre Gegner, dass Sie jüdischen Glaubens wären. Tatsächlich haben Sie nicht nur einmal Juden verteidigt.
Andreas Osiander: Die Vorwürfe, die immer wieder gegen Juden erhoben wurden, in Sappenfeld bei Eichstädt 1540 zum Beispiel, waren an den Haaren herbeigezogen. Und das konnte jeder denkende Mensch auch sehen. Aber die Leute wollen nicht denken. Und wenn sich dann noch ein Professor Eck aus Ingolstadt mit Schaum vor dem Mund einmischt, dann kriegen die einfachen Leute Angst.

Wie haben Sie argumentiert?
Andreas Osiander: Mit dem 5. Gebot natürlich. „Du sollst nicht töten“ und alle weiteren Regeln dazu aus der jüdischen Glaubenslehre verbieten den Mord an einem Menschen. Dass man dennoch den Mord an einem Kind in die Schuhe geschoben hat, war kühle Berechnung. Und ich vermute etwas ganz anderes: Da ist jemandem Hochwohlgeborenen das Geld ausgegangen und der wollte sich gerne wieder sein finanzielles Loch stopfen lassen – von Geldern der Juden, die sich nicht wehren konnten. Da musste ich doch das Gutachten schreiben, oder?

Wie ist der Fall damals ausgegangen?
Andreas Osiander: Die in Sappenfeld angeklagten Juden wurden freigesprochen.

Herr Osiander, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Eigentlich würde ich gerne noch mehr von Ihnen hören. Eine letzte Frage für jetzt: Was würden Sie uns heute empfehlen?
Andreas Osiander: Wenn heutzutage die Folter als Methode der Wahrheitsfindung gutgeheißen wird, dann graust´s mich. Geständnisse unter Folter sind keinen Heller wert. Ich habe das zu meiner Zeit abgelehnt und würde es heute wieder tun.

Text: Susanne Bammessel
Fotos: Thomas Bachmann

Tipp

Führung zum Jahr des
Reformationsjubiläums
„Prediger, Schuhmacher und Jurist – Köpfe der Reformation in St. Lorenz“
jeden Donnerstag, 14 Uhr, vom 20. April bis 2. November 2017
Treffpunkt: Lorenzkirche, an der Kanzel
Kosten: € 4,- pro Person