Titelthema
Tatort Kultur

Franken ist im Tatortfieber. Im Juli und August wurde gedreht und im Frühjahr 2016 ist die Ausstrahlung von „Das Recht sich zu sorgen“. Zeit, einen Blick auf den Tatort Kulturlandschaft in Nürnberg zu werfen. Hierfür treffe ich mich mit der Kulturreferentin der Stadt Nürnberg, Prof. Dr. Julia Lehner, in ihrem Büro am Hauptmarkt.

Liebe Frau Professor Lehner. Nürnberg als Kulturort. Bitte lassen Sie uns teilhaben an dem Panorama der Kulturarbeit in Nürnberg.

Betrachtet man Nürnbergs Kulturlandschaft so darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass wir uns mit allen Großstädten Deutschlands, vielleicht sogar Mitteleuropas, messen können. Aus Perspektive der Infrastruktur gibt es in Nürnberg alles, was es in anderen Städten auch gibt. Wenn nicht sogar teilweise profilierter. Nun ist eine Kulturlandschaft natürlich auch sehr heterogen und von der Wahrnehmung der Bürger geprägt, die häufig eine selektive ist. Meine Erfahrung in meiner Amtszeit ist, dass Kulturinteressierte sich eher individuell für Sparten interessieren und nicht allgemein Kultur als Ganzes wahrnehmen, genießen. Das prägt meine Arbeit, so haben wir in den letzten Jahren verschiedene Festivals und Großveranstaltungen entwickelt, um eine möglichst große Zahl von Bürgern und Bürgerinnen gezielt anzusprechen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie herzlich willkommen sind. Dabei darf natürlich nicht die Qualität verloren gehen. Ein gutes Beispiel aus meiner Sicht ist die „Blaue Nacht“. Bei diesem Kunstwettbewerb reisen Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Bundesrepublik, ja sogar aus dem Ausland an und ermöglichen in der ganzen Innenstadt den Dialog zwischen Betrachter und Kunst.

Also auf der einen Seite ist es für meine Arbeit ganz wichtig, die Kulturlandschaft Nürnbergs zu pflegen, auszubauen und dabei die Inhalte immer wieder in den Fokus zu stellen. Darüber hinaus ist es mir wichtig Menschen das Gefühl zu vermitteln, Du bist eingeladen.

Tatorte sind auch immer Erinnerungsorte. Positiv, wie negativ. Welche Orte inspirieren Sie für Ihre Arbeit und in ihr?

Kulturarbeit in Nürnberg muss vor allem zwei große markante Epochen in den Blick nehmen. Ein Nukleus ist Nürnbergs große Zeit im Mittelalter. Dafür steht natürlich die Innenstadt, auch visuell. Also Nürnberg die Stadt der Renaissance, des Kunsthandwerks, Fernhandels und eines Albrecht Dürers und der Gelehrten und Wissenschaftler dieser Zeit. 

Der zweite ist die Zeit des Dritten Reichs, die sich architektonisch im Stadtbild markant abbildet. Dieses Spannungsverhältnis mit seinen unterschiedlichen Anforderungen prägt das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft, das Stadtbild und meine Kulturarbeit für Nürnberg. Daneben gibt es viele weitere Orte, bspw. die Südstadt, die ich persönlich sehr spannend finde, als Abbild der Moderne. Sie steht für die Zeit der Industrialisierung einerseits und des Strukturwandels andererseits. Auch die Diskussion um die Fürther Straße finde ich aus struktureller Sicht hochinteressant. Von daher gibt es für mich und meine Arbeit nicht nur einen Ort, sondern unterschiedliche. Diese Orte entdecke ich in meiner Freizeit, gerne auch mit dem Fahrrad.

Ist der Egidienberg auch so ein Ort?

Mein Blick auf das Viertel, mit St. Egidien als seiner Kirche ist natürlich ein kultureller. Einerseits ist sie eines der ganz wenigen barocken Baudenkmäler, die wir in der Stadt haben. Das finde ich aus kunsthistorischer Sicht interessant. Dann ist das Viertel andererseits ein Ort des Niedergangs und der Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg und ganz stark ein Ort des Wiederaufbaus. Also nicht nur der Kirche selbst, sondern des Pellerhauses daneben und des Viertels insgesamt, das eine Architektursprache der 60iger Jahre und des Wiederaufbaus spricht. Heute muss man schon nachdenken, wie man damit umgeht. Für die Restaurierungs- und Renovierungssituation der Gebäude ist das Pellerhaus das beste Beispiel.

Ja und dann natürlich die Kirche selbst mit ihrem Spannungsverhältnis zwischen barockem Bau einerseits und zeitgenössischer Kunst, die immer wieder in verschiedenen Formen dort temporär ausgestellt ist, andererseits. Gerade das halte ich für eine äußerst exklusive Situation, die es in anderen Kirchenräumen Nürnbergs in dieser Form und mit dieser Wirkung nicht gibt.

Ich bin der Meinung, Kirchen sind geistes- und kulturhistorische Stätten, und diese in die Gegenwart zu bringen halte ich für eine absolut wichtige, aber natürlich auch spannungsreiche Aufgabe, die mich persönlich anspricht.

Was wünschen Sie sich von der Kulturkirche und dem Kulturort St. Egidien?

Aus meiner Sicht geht St. Egidien hier einen guten Weg. Dabei denke ich natürlich an die verschiedenen Sparten von bildender Kunst und Musik und deren Zusammenspiel, das in dem Kirchenraum besonders gut zur Geltung kommt. Mich persönlich haben auch die Projekte von Ballett- und theatralischen Inszenierungen sehr angesprochen.

Ich würde mir wünschen und hoffe, dass es uns beiden noch mehr gelingt, diesen Ort als Kulturort noch stärker in das Bewusstsein zu bringen. Damit meine ich gerade das Spannungsverhältnis zwischen Sakralraum und zeitgenössischer Kunst und deren Wirkung sowohl in die Gesellschaft, als auch in die Gemeinde und bis hin in die Gottesdienste hinein. Dieses Spannungsverhältnis und diese Übersetzungsarbeit der alten Botschaften sind mir auch als Gläubige wichtig.

Liebe Frau Lehner, ich danke Ihnen für das Gespräch und freue mich auf die Zusammenarbeit!

(Text: Martin Brons, Bilder: Daniel Ursus Ochs, Madame Privé)´