Titelthema
In Zwischenräumen leben, pilgern und spirituelle Erfahrungen sammeln
Und dazwischen Zwischenräume
Zwischen Dachstuhl und Gewölbe: Nachkriegslösung in St. Egidien

„Was müssen das für Bäume sein, wo die großen Elefanten spazieren geh’n, ohne sich zu stoßen? Rechts sind Bäume, links sind Bäume, und dazwischen Zwischenräume, wo die großen Elefanten spazieren geh’n, ohne sich zu stoßen!“

Genau da sind sie also: die Zwischenräume. Zwischen den Bäumen. Da, wo man sie gerne übersieht. Ohne diese Zwischenräume gäbe es keine Bewegungsfreiheit. Allmählich wächst in mir das Gespür für den tieferen Sinn des Kinderliedes „Was müssen das für Bäume sein …“ Bisher habe ich es ohne Sinn und Verstand mitgeträllert. Um die Zwischenräume geht es!

Zwischen Räumen befindet sich, je nachdem, wie weit sie voneinander entfernt sind, eine Tür, ein vielgestaltiger Raum, ein Durchgang, zumindest eine Schwelle oder die „gedehnte Schwelle“: der Weg. Dieser Weg verbindet zwei Räume. Und auf dem Weg durch den Zwischenraum geschieht der Austausch zwischen den Räumen.

Zwischenräume sind oft ungenutzt. Brachland. Niemandsland. Grenzlandschaft. Oft wächst dort Unkraut. Zwischenräume sind unbewohnt. Räume, um die sich keiner kümmert, weil man da schnell durch muss. Man kennt sie ja, die zugigen Flure ohne ein Bild an der Wand. Die Durchgangsräume zwischen den Häusern, für die keiner zuständig ist. Die kahlen Hausdurchgänge. Zwischenräume neigen dazu, die Dinge an sich zu ziehen, die sich im Übergang befinden: Graffitis an den Wänden. Abfall auf dem Boden. Zwischenräume sind Stauräume, Fluchtwege, Abstellkammern oder Treppenabsätze. Raum für die Dinge, für die man sonst keinen Platz findet.

Zwischenräume sind aber auch etwas sehr Positives, Notwendiges und Nützliches: Zwischenräume bergen Geheimnisse, die neugierig machen. Zwischenräume bieten Freiräume, in denen nichts ist. Eine Lücke, ein Spalt, ein Spielraum, der Freiheit zur Entfaltung lässt. Zwischenräume bergen große Chancen. Sie sind sozusagen Spielräume. „Spielräume“ – das ist doch ein viel schöneres Wort als die „Zwischenräume“,

 

denen etwas Technisch-Kühles, ja Staubiges anhaftet. Im Zwischenraum, zwischen Tür und Angel, beim Abschied: da wird oft noch Bedeutendes gesagt. Oder bei der Begrüßung: Man ist noch nicht drin, aber auch nicht draußen. In der christlichen Kunst sieht man das besonders schön bei dem Bild „Mariä Heimsuchung“: Maria besucht ihre Verwandte Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer. Elisabeth läuft Maria entgegen. Beide Frauen begrüßen einander in Freude. Die Szene geschieht im Zwischenraum zwischen Nazareth und En Kerem, das Wohnhaus der Elisabeth ist im Hintergrund zu sehen.

Kirchen haben besonders viele Zwischenräume. Schon als Kind haben mich die Zwischenräume in Kirchen interessiert, zu denen man normalerweise nicht gelangt: Die Gewölbe und die Gruften. Die Sakristeien und die Glockenstühle. Meist sind diese Räume verschlossen und werden sorgsam gehütet. Aber desto interessanter werden sie! Ich erinnere mich daran, als ich einmal an der Egidienkirche vorbeikam, da stand eine Tür offen. Ich schlüpfte hindurch und stieg mit klopfendem Herzen die Treppe hoch, immer höher, und auf einmal stand ich im Dachstuhl: ein weiter, nicht genutzter Zwischenraum zwischen Dachbalken und Kirchendecke. Beeindruckend anzusehen!

Mein Pilgerweg nach Santiago führte mich auch durch die südfranzösische Stadt Carcassonne. Es war ein Sonntag und wir besuchten die Kirche „St. Nazarius und Celsus“. Während der Messe stimmte eine Musikstudentin mit glockenklarer Stimme die Lieder an. Der Raum weitete sich. Die Sonne malte ihr Licht an die Wände. Oben löste sich eine Taube vom Gebälk und flog vom Triforium zum Nest und wieder zurück. Der Zwischenraum der Kirche: Klangraum, Lebensraum, Spielraum für den Geist Gottes.

Zwischen der Welt draußen und dem Sakralraum drinnen befindet sich bei den meisten Kirchen ein Zwischen- und Übergangsraum. Eine Art Schleuse zum heiligen Raum. In sehr alten Kirchen der Narthex. Eine Art Vorhalle, in der man sich rituell gewaschen hat, gebeichtet hat oder Pilgern ein Nachtlager gewährt hat.

 

In der Jakobskirche in Nürnberg liegt genau im Zwischenraum zwischen draußen und drinnen das Pilgerzentrum. Seit gut zwei Jahren hält ein ehrenamtliches Team das Pilgerbüro offen. Pilger können sich dort über den Weg informieren oder Pilgerausweise bekommen. Denn in Nürnberg laufen ja wie an einem Knotenpunkt mehrere Jakobswege zusammen. Aus Coburg, Hof oder Prag kommend kann man dann weiterlaufen nach Eichstätt, Ulm oder Rothenburg. Jakobswege beginnen stets vor der eigenen Haustür und führen Richtung Südwesten bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela in Spanien, wo man schon im Mittelalter das Grab des Jesusjüngers Jakobus des Älteren vermutete. Pilgerwege sind im Grunde auch Zwischenräume. Zwischenräume von Kirche zu Kirche und von Herberge zu Herberge, aber auch zeitliche Zwischenräume. Bei vielen Pilgerinnen und Pilgern ist der Pilgerweg eine länger währende Zwischen-Zeit zwischen beruflichem Alltag und neuen Lebenswegen, die man einschlagen möchte. Pilgern ist von der Wortbedeutung her „ein über fremdes Land Gehen“. Auch da werden Zwischenräume durchschritten. Zwischenräume, in denen man Menschen begegnet, die man im Alltagsleben wohl nie getroffen hätte und wo man Erfahrungen macht, die man im Alltag so nicht gemacht hätte. Das Pilgerbüro-Team berichtet Ihnen gerne darüber!

Text: Oliver Gußmann
Fotos: Martin Brons, privat

Zwischen Dachstuhl und Gewölbe: Nachkriegslösung in St. Egidien

 

Pfarrer Oliver Gußmann

Pfarrer Oliver Gußmann ist Referent zum Thema Pilgern am Gottesdienstinstitut in Nürnberg und Pfarrer für Touristenseelsorge an St. Jakob in Rothenburg ob der Tauber. Er arbeitet seit November mit dem ehrenamtlichen Team des Pilgerzentrums zusammen.

Kontakt
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Marion Vetter

Marion Vetter ist seit Anfang 2017 die Koordinatorin des Pilgerbüros.
In der nächsten Ausgabe der Citykirche wird es ein Interview mit Marion Vetter geben.

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