Gesellschaft
Wenn Erfahrung von Versöhnung Früchte trägt

Offene Türen für Flüchtlinge: ein Blick zurück

Während des Jugoslawienkrieges war es möglich, Menschen mit Hilfe von sogenannten „Verpflichtungserklärungen“ aus dem Kriegsgebiet zu holen. In Zusammenarbeit mit dem Nürnberger Evangelischen Forum für den Frieden (NEFF) richtete das Dekanat einen Spendenfond ein. Viele halfen mit großzügigen Summen, den Topf zu füllen, um Kinder und Erwachsene aus den Kampfgebieten in Sicherheit zu bringen. Kirchengemeinden und Familien öffneten ihre Türen, stellten Wohnraum zur Verfügung, nahmen sich Zeit zur Beratung oder zum Sprachunterricht, dolmetschten, begleiteten zu Behörden, statteten die Menschen mit dem Nötigsten aus, bis sie selbst Arbeit fanden und Wohnraum.

Versöhnungsarbeit unter Flüchtlingen während der Krieg tobt.

In der methodistischen Zionsgemeinde gab es zwischen 1993 und 1998 jeden Samstag einen offenen Flüchtlingstreff, in ökumenischer Zusammenarbeit mit St. Josef und St. Jobst. Dass der Treff offen bleiben sollte für Menschen verschiedener Ethnie, Religion und sozialer Schicht, war ein hoher Anspruch, aber nur so ist Friedens-und Versöhnungsarbeit möglich.

In Jobst wohnte Familie Ahmetovic mit ihren beiden Kindern Osman und Edina. Die Eltern halfen oft beim Beraten anderer Flüchtlingsfamilien. Unvergesslich: Vater Alosman Ahmetovic hat im Familiengottesdienst in St. Jobst Akkordeon gespielt und mit seinen Freunden musiziert: ein Bosnier, ein Kroate, ein Serbe. Und das, während der Krieg zwischen den Ethnien tobte. Den Klang ihrer Musik haben manche noch immer im Ohr.

Eine Idee geht weiter…

Edina Ahmetovic und Sanjin Vosanovic waren damals Jugendliche. Wie viele andere mussten sie nach dem Krieg nach Bosnien zurück,  mussten wieder neu starten in einem Land, das  vom Krieg schwer gezeichnet war.

Inzwischen sind sie erwachsen, verheiratet, und arbeiten bei „Svitac Bosnia“, einer multiethnischen Jugendorganisation in ihrer Herkunftsstadt Brčko, im Nordosten von Bosnien und Herzegowina. Edina schreibt:

„Seit 1998 bieten wir Jugendlichen aus Brčko verschiedene Workshops nicht nur zur Förderung von Fremdsprachen, Kreativität und musikalischen Fähigkeiten, sondern auch Sport-, Theater- und andere Bildungsangebote. Dies alles trägt zur Wiederversöhnung innerhalb der lokalen Gemeinschaft bei, während das Land noch immer dabei ist, sich von den zerstörerischen 90er Jahren zu erholen.“

Im Juni sind Edina und Sanjin auf Einladung des NEFF zum ersten Mal wieder nach Nürnberg gekommen. In St. Jobst treffen sie die alten Nachbarn und Freunde, sehen nochmal in die Räume in Jobst, in denen sie damals mit uns gelebt haben. Erfahrungen werden wach, wir alle sind sehr bewegt.

Am anderen Tag berichten die beiden in der Zionsgemeinde über ihr Projekt. Elisabeth Fischer, damals für den Flüchtlingstreff verantwortlich, hat Flüchtlinge eingeladen, die noch heute in Nürnberg sind.

Eindrücke von damals und der Bericht von heute verdichten sich. Ein Video nimmt uns mit in die konkrete Arbeit im Summer Camp in der Nähe von Sarajewo in den Bergen: Jugendliche aus verschiedenen Ethnien, mit verschiedenen Geschichten, Sprachen, Problemen und Hoffnungen kommen miteinander in einen Rhythmus, tanzen, erleben Natur, Gemeinschaft, Kooperation. Und Edina und Sanjin leiten an, mit hoher Professionalität  und Aufmerksamkeit für die Einzelnen und die Gruppe. So, denke ich, geht das, was im NEFF immer wieder unser Thema ist: Friedensarbeit, die Grenzen überwindet…

Am anderen Tag kommt Johanna zu Besuch, eine Abiturientin aus Nördlingen, die als Freiwillige acht Monate in Brcko mitgelebt und mitgearbeitet hat. Weil Reisen für die Jugendlichen aus Brcko schwierig ist, lädt Svitac Bosnia junge Menschen aus aller Welt ein, für einige Monate als PraktikantInnen  mitzuarbeiten und die Vielfalt der Welt mitzubringen und zu erleben. So wird das Leben im Projekt immer bunter. „Die Zeit bei Euch hat mein Leben verändert“, sagt Johanna.

Bis spät in den lauen Sommerabend des 24. Juni sitzen wir in unserem Garten. Wir sprechen über den Abend im NEFF, den wir zusammen besucht haben: ein Bericht von Alexandra Senfft über Versöhnungsarbeit in Israel/Palästina. Parallelen werden deutlich. Wir lassen uns erzählen über die jungen Freiwilligen: Monica aus Großbritannien, Theresa aus Österreich, John aus den USA, Anne aus Deutschland, Leyla aus Frankreich. Sie werden die Erfahrungen weitertragen: dass es möglich ist und lohnt, über Grenzen hinweg Freundschaften zu schließen.

Edina erzählt von der jungen Frau aus England, die das Projekt in Brcko gegründet hat, Ellie Maxwell. Mit 31 Jahren ist sie an einer Krebserkrankung gestorben. Aber das Projekt geht weiter. Bisher sind immer wieder genug Spenden eingegangen, um die Arbeit für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen in Bosnien fortzuführen. Aber das Summer-Camp kann heuer nicht stattfinden. Man müsste eine große Spende dafür finden, damit immer mehr junge Menschen erfahren, wie das Leben zum Fest wird, wenn Grenzen verschwinden, Vielfalt zählt und alle gleiche Rechte haben.

Inzwischen ist es dunkel geworden. In unserer Wiese tanzen Glühwürmchen, hunderte von grünen Lichtchen: „Glühwürmchen, Firefly, Svitac auf bosnisch – so heißt unser Projekt“, sagt Edina. „Glühwürmchen bringen Licht. Das ist unsere Arbeit.“

Text und Foto: Hertha Steinmaier