Kultur
von Martin Brons und Thomas Zeitler
Abbruch und Neubau am Egidienplatz
Barocker Wiederaufbau der Egidienkirche um 1715, nach Johann Adam Delsenbach

Am 4. September 1718 wurde St. Egidien als einzige Barockkirche Nürnbergs eingeweiht. Ihr Bau stellt nach einem verhängnisvollen Brand am ältesten Kirchenort der Stadt eine Neugeburt auf der Höhe der Zeit dar. Seit einigen Jahren profiliert sich
St. Egidien als Kunst- und Kulturkirche mit Ausstellungen, Performances und Konzerten. Ihr Jubiläum feiert die Kirche mit einer Reihe an Konzerten und Vorträgen, einer Ausstellung und einem Fernsehgottesdienst an Johanni, 24. Juni.
Die Egidienkirche war nicht immer barock. Ihre Geschichte geht zurück auf einen Königs- und Wirtschaftshof der Frühzeit Nürnbergs. Aus dem Hof mit Egidienkapelle unterhalb der Burg entwickelte sich um 1140 zunächst das Benediktinerkloster der Reichsstadt. Die ehemalige Klosteranlage ist bis heute im Ensemble der Kirche mit ihren drei Kapellen, den Platzanlagen und der angrenzenden Schule erkennbar. Mit Einführung der Reformation in Nürnberg 1525 übergab der Klosterkonvent seine Gebäude an eine durch den Rat der Stadt zu gründende Bildungsstätte, während die mittelalterliche Kirche als Predigtkirche genutzt wurde. In die alten Klostergebäude neben der Kirche zog das Aegidianum ein, das am 23. Mai 1526 von Philipp Melanchthon mit einer Bildungsrede an die Stadt eröffnet worden war. Ihm stand von 1808 bis 1816 Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Rektor vor. Die Schule besteht bis heute als Melanchthon-Gymnasium fort. Nach dem Wegzug des Gymnasiums 1911 in die Sulzbacherstraße bilden die alten Gebäude die Rückgebäude des Willstätter-Gymnasiums. Romanische Klosterkirche Die aus rötlichem Burgsandstein gebaute alte Klosterkirche aus der Mitte des 12. Jahrhunderts war eine dreischiffige Pfeilerbasilika. Sie besaß eine ausgeprägte Zweiturmfassade im Westen, die dreifach gegliedert, durch Rundbogenfriese fein unterteilt war und in kurzen pyramidalen Turmspitzen endete. Diese Türme sind auf alten Stadtansichten neben denen von St. Lorenz, St. Jakob und St. Sebald immer erkennbar. Im Jahr 1696 fielen die alte Kirchenanlage und die angrenzenden ehemaligen Klostergebäude einem verheerenden Brand zum Opfer. Unversehrt blieben dagegen die drei Kapellen und die Sakristei, in denen sich bis heute romanische (Korbkapitelle) und gotische (Gewölbe-)Stilelemente abwechseln. Barocke Predigtkirche Nach dem Brand im Jahr 1696 lagen zunächst für über zehn Jahre Steinhaufen am Egidienplatz. Erst nach dem ersten Stiftungsakt seit der Gotik durch den Rat der Stadt zusammen mit den Patriziern und Bürgern konnten Schule und Kirche mit der umliegenden Platzanlage als Barockensemble neu errichtet werden. Dazu hatte man ab 1710 zu einer Beisteuer aufgerufen. 1711 wurde der Grundstein der Kirche gelegt. Im Jahr darauf erfolgte eine weitere Beisteuer durch Kanzelabkündigung in allen Nürnberger Kirchen. So wurde der Neubau auf den Fundamenten der romanischen Kirche durch Gottlieb Trost nach Entwürfen seines Vaters Johann Trost ermöglicht. Entstanden war der bis heute erkennbare harmonische, ovale Raum ohne Säulen. Eine weit in den Raum kragende Doppelempore ermöglichte die höchste Sitzplatzanzahl unter den Nürnberger Kirchen. Ein großer Predigtstuhl bildete den Übergang zu Vierung und Querhaus, die schließlich überführten in den langen ehemaligen Mönchschor mit Hochaltar. Dieser bildete den Schluss- und Höhepunkt des neuen Raumgefüges und war eine Stiftung des Nürnberger Patriziers, Ratsherrn und Dichters Christoph Fürer von Haimendorf. Christoph Fürer hatte für seine Kirche eine Darstellung der Beweinung Christi erworben, die dem berühmten Künstler Anthonis van Dyck zugeschrieben wurde. Das Altarblatt befindet sich heute im Querhaus der Kirche. Stuckiert wurde die Kirche von dem aus dem Tessin stammenden Künstler Donato Polli, der damit sein bedeutendstes Werk schuf. Der damalige Direktor der Nürnberger Malerakademie, Johann Martin Schuster, malte das Deckengemälde, das den Triumph des Himmels über die Hölle, den Kampf der Engel mit den Teufeln darstellte. Am 4. September 1718 fand diese Umgestaltung im Herzen des Egidienviertels ihren Abschluss mit der Wiedereinweihung von St. Egidien als einziger Barockkirche Nürnbergs. Die bis heute erhaltene Predigt über Offenbarung 21, 5 hielt Bernhard Walther Marperger, der von 1714–1724 amtierender Prediger von St. Egidien und ehemaliger Schüler des Aegidianums war. Eine eigene Einweihungsmusik war komponiert worden. Die Platzanlage, die sich zum bevorzugten Residenz- und Paradeplatz der Nürnberger Innenstadt entwickelt hatte, fand in dem neu errichteten Kirchen- und Schulensemble ihren Höhepunkt. Diese Bedeutung innerhalb der Nürnberger Plätze wird auch daran deutlich, dass der Egidienplatz zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Standort für das Reiterdenkmal Kaiser Wilhelm I. bestimmt wurde, dessen Enthüllung unter Beisein von Kaiser Wilhelm II. im Rahmen der „Nürnberger Fürstentage“ stattfand.  Und heute: Kulturkirche Heute ist von den Glanzzeiten der Kirche und des Viertels wenig übrig: Nach der Zerstörung des Viertels und der Kirche im 2. Weltkrieg entschied man sich für einen veränderten Wiederaufbau der Kirche mit moderner Deckenwölbung. Dabei verzichtete man auf die Emporen und die reiche Stuckierung und ordnete den Kirchenraum neu an: in der Vierung wurde eine große Altarinsel platziert und das große Bronzekreuz von Rudolf Göschel im Übergang zum auch in seiner Stuckierung rekonstruierten Ostchor platziert. 1959 konnte die Kirche wieder eingeweiht werden, nachdem zunächst die drei mittelalterlichen Kapellen gesichert worden waren. Durch diese Neuordnung entstand ein Freiraum, den sich die Gemeinde von St. Egidien bewusst als Begegnungsfeld für Kirche und Kunst zu Eigen gemacht hat. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird an der Nürnberger Innenstadtkirche St. Egidien kulturelle Arbeit auf hohem Niveau geleistet. Um diese Arbeit auch in Zukunft profiliert fortsetzen zu können hat sich die Kirchengemeinde von St. Egidien in ihrem Jubiläumsjahr gemeinsam mit der Kirchengemeinde von St. Sebald auf neues Terrain gewagt: Während die Gemeindearbeit in Zukunft für beide Gemeinden gemeinsam geleistet wird, wird Pfarrer Thomas Zeitler das Konzept von Nürnbergs Kulturkirche weiterentwickeln. Dabei will er auf die Traditionsstränge von St. Egidien als spirituellem, kulturellem und Bildungsort zurückgreifen. Die Wurzeln von St. Egidien als Klosterkirche, als barocker Predigtkirche und als Kulturkirche am Nürnberger Bildungsberg sollen dadurch auch im 21. Jahrhundert neue Blüten hervorbringen. Feiern Sie mit uns! Das Egidier Jubiläumsprogramm bietet von besonderen Gottesdiensten, Vorträgen, Führungen und Ausstellungen und Konzerten zahlreiche Begegnungsmöglichkeiten.

 

Fotos: Archiv St. Egidien und Uwe Niklas

Der Blick in die barocke Egidienkirche 1921, vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg
Beweinung Christi – ein Werk van Dycks?

Egidier Jubiläumshighlights im Juni und Juli

Konzerte

Sonntag, 10. Juni, 20 Uhr

Festkonzert im Rahmen der ION – 300 Jahre wechselvolle Geschichte

Ensemble Continuum

Eintrittspreise siehe Programm ION

Konzertreihe in Kooperation mit der Hochschule für Musik

Eintritt frei – Spenden erbeten

 

Donnerstag, 14. Juni, 17 Uhr

Die Violine im Instrumentalschaffen Telemanns

Erica Lunz – Barockvioline

Bernward Lohr – Cembalo

 

Donnerstag, 14. Juni, 19.30 Uhr

Verborgene Schätze der Celloliteratur

Hanna Hesse – Barockvioloncello

Ralf Waldner – Cembalo

 

Freitag, 15. Juni, 17 Uhr

Ausklang-Konzert „Der habile Violist“ – Werke von Telemann und Bach

Iddo Zhang – Barockviola

Martina Fiedler – Cembalo

 

Freitag, 15. Juni, 19.30 Uhr

„Von Ortiz bis Abel“ – Werke u.a. von Ortiz, Telemann, Abel

Amelie Heinl – Viola da Gamba

Ralf Waldner – Cembalo

weitere Mitwirkende

 

Samstag, 16. Juni, 17 Uhr

Kleines Geistliches Konzert – Werke von Staden, Kindermann, Bertali, Schütz

Stefanie Weidmann – Alt

Natalija Franceva – Barockvioline

Lina Jarvers – Barockvioline

Hartwig Groth – Viola da gamba

Mimoe Todo – Orgelpositiv

 

Festvorträge

Mittwoch, 20. Juni, 19 Uhr

Ein van Dyck für Nürnberg. Der ehemalige Hochaltar der Nürnberger Egidienkirche als Stiftung von Christoph VII. Fürer von Haimendorf.

Dr. Thomas Schauerte – Museen der Stadt Nürnberg

 

Mittwoch, 18. Juli, 19 Uhr

Wir selbsten bleiben nicht beym Alten.

Christoph VII. Fürer von Haimendorf, im Blumenorden Lilidor I., als Politiker, Gelehrter und Dichter.

Prof. Dr. phil. Werner Kügel – Präses des Pegnesischen Blumenordens e.V.

 

Mittwoch, 10. Oktober, 19 Uhr

Bachs Beziehungen nach Nürnberg.

Neues aus der Bach-Forschung: Christoph Birkmann (1703–1771), Textdichter für J. S. Bach in Leipzig und Pfarrer von St. Egidien.

Dr. Christine Blanken – Bach-Archiv Leipzig

 

Gottesdiensthighlights

Sonntag, 24. Juni, ab 10 Uhr

Festakt rund um Johanni

Platzsperrung für eine Woche rund um das Jubiläumswochenende

10 Uhr: Fernsehgottesdienst Liturgie: Pfarrer Dr. Martin Brons; Predigt: Kirchenrätin Andrea Wagner-Pinggéra (Landespfarrerin der JUH); Musik: Kirchenrat Rüdiger Glufke. Egidienchor unter Leitung von Volker Hagemann

11–15 Uhr: Empfang auf dem Platz in Kooperation mit der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.

17 Uhr: Sonnengesang – Sommerkonzert des Egidienchores unter Leitung von Volker Hagemann.

 

Mittwoch, 13 Juni, 18 Uhr

Ökumenische Vesper der ION Mit Videoinstallation von Marianne Vordermayr und Raum.Klanginszenierung. Musikalisches Konzept: KMD Gerd Kötter

 

Sonntag, 1. Juli, 10.30 Uhr

Kunstgottesdienst zur Ausstellung

Pfarrer Thomas Zeitler, Predigt

Manfred Meier-Appel, Orgel

 

Sonntag, 22. Juli, 10.30 Uhr

Tucherschlossgottesdienst

 

Ausstellung

Mittwoch, 13. Juni bis Freitag, 20. Juli

Zeitläufe Video- und Fotoinstallation (siehe S. 19)

Mittwoch 13. Juni, 18 Uhr

Vernissage im Rahmen der ION-Vesper