Innenstadt
Hospiz
Abschiednehmen ist so vielfältig wie das ganze Leben

Kinder müssen loslassen, wenn sie das familiäre Nest verlassen und auf eigenen Füßen stehen wollen. Nicht selten fällt es auch dann auch den Eltern schwer, ihre Kinder ziehen zu lassen. Aber an kaum einem anderen Ort geht es so um die letzten Dinge, also salopp gesagt: um’s Eingemachte, wie in einem Hospiz. Dabei hat das, was Menschen dort bewegt, viele Facetten. Das zeigt sich schon in Formulierungen und Redewendungen wie „frei geben, gehen lassen, Abschied nehmen“. „Ich habe mein Leben gelebt“, sagen die einen. „Ich will aber noch nicht gehen müssen“, lehnen sich die anderen auf.

„Der Umgang damit ist so breit gefächert und vielfältig wie das gelebte Leben. Das lässt sich nicht auf einen Nenner bringen“, sagt Kathrin Richter. „Manchen fällt es, zumindest von außen gesehen, leichter. Andere ringen schwer damit. Da spielt vieles eine Rolle, das Alter und die Lebenssituation, aber auch die Diagnose und das familiäre Netz.“ Dazu kommen persönliche Prägungen – zwischen offenem Reden und der Neigung, gerade bedrückende Gedanken und Gefühle im innersten Kämmerchen für sich zu behalten – womöglich aus Rücksicht und Scheu, Angehörige und Freunde damit zu belasten.

„Wir bedrängen natürlich niemand. Das A und O ist für uns, die Bedürfnisse der Betroffenen wie ihrer Angehörigen möglichst gut zu erspüren und wahrzunehmen und darauf einzugehen und natürlich letzte Wünsche zu erfüllen, soweit das machbar ist“, sagt die erfahrene Krankenschwester, die sich mit einer Zusatzausbildung als Palliativ-Fachkraft auch ganz bewusst für die Begleitung von Menschen auf ihrem letzten Weg entschieden hat. Und das heißt: Genau hinhören, hinein spüren, auch nur Gehauchtes und halb Gesagtes aufnehmen. Zum Glück bietet ein Hospiz ihr und den Kolleginnen auch den nötigen Freiraum. Und vor allem die Aussicht und Möglichkeit, Patienten möglichst ganzheitlich betreuen zu können, hatte sie in ihrer Entscheidung bestärkt – auch wenn es oft gilt, Momente von Sprachlosigkeit und Ohnmacht auszuhalten. „Dafür aber bekommt man auch soviel zurück, vor allem Dankbarkeit“, sagt Kathrin Richter, die sich ehrenamtlich auch im Kirchenvorstand von St. Lorenz engagiert.

Gibt es hilfreiche Tipps? Lässt sich das Loslassen lernen? Zunächst sicher ein „guter Rahmen“, eine helle, freundliche Atmosphäre, die Vertrauen fördert. Darauf legen Hospize größten Wert. Dazu kommt die Professionalität, mit der die Pflegekräfte beispielsweise auf Symptome wie Atemnot reagieren, um Schmerzen und Ängste zu lindern und abzufedern. Viel Unterstützung erfahren Patientinnen und Patienten auch im Umgang mit Kunst und Musik, durch Psychologen und Seelsorger. Rituale wie eine Krankensalbung oder ein letztes Abendmahl sind da von kaum schätzbarem Wert – auch wenn Gläubige nicht „automatisch“ ruhiger und friedlicher aus dieser Welt scheiden.

Klar aber ist: Das Abschiednehmen wird in der Regel dem- und derjenigen leichter fallen, der und die das Gefühl hat, alle wichtigen Fragen geregelt und geordnet in gute Hände gelegt haben.

Bloße Appelle zur Gelassenheit verpuffen erfahrungsgemäß hingegen ziemlich wirkungslos – zumal von außen schwer einzuschätzen ist, ob und wie sehr es in einem Patienten innerlich „brodelt“.

Frühzeitige Vorsorge, auch rechtlich, besonders mit Vollmachten und Patientenverfügungen, ist auf jeden Fall zu empfehlen. „Und es tut auch mir gut, mich immer mal wieder mit meiner eigenen Endlichkeit zu beschäftigen und das nicht aufzuschieben“, meint Kathrin Richter, „das macht mein Leben sogar reicher und hilft, Beziehungen bewusster zu pflegen und Augenblicke zu genießen. Und ich kann schwierige Erlebnisse auch Gott überlassen“.

Wie die Patienten sind dabei auch die Pflegekräfte darauf angewiesen, sich getragen zu fühlen. „Mitschwingen und mit leiden und viel Empathie sind entscheidend – und ein Team, in dem man sich aufeinander verlassen kann.“

Text: Wolfgang Heilig-Achneck
Artikelfoto: iStockphoto, Madame Privé