Gesellschaft
Stimmungsbarometer
Alle Jahre wieder!

„Noël“ als Stimmungsbarometer rund um die Feiertage oder: Wenn der Druck des Teekessels in schrillen Tönen entweicht…

„Warum ist diese Nacht anders als alle übrigen Nächte?“ Mit dieser Frage bringt bis heute ein jüdisches Kind die Passah-Haggada, den jüdischen Festverlauf des Passahabends, ins Rollen.

Die christliche Antwort in der Nacht zum Christfest am 25. Dezember lautet: weil uns heute der Heiland geboren ist! Er hat die Schattenseiten unseres Lebens zu seiner Wohnung gemacht und die schweren Nächte so selbst erhellt.

So versammeln wir uns in unserer Nacht der Nächte in Gottesdiensten und mit denen, die uns Nahe stehen. Aber die Nacht der Geburt Jesu ist eben nicht nur die Nacht der Freude! Sie ist die Nacht, in der sich die Einsamkeit vieler aufbäumt wie ein wildes Tier. Es ist die Nacht, in der Menschen um ihre Toten weinen, in der Menschen um Trost und Heilung bitten, in der trotz guten Willens das Fest versaut wird, weil wir in unserer alten Haut stecken. Ich erinnere mich, wie mein Onkel in meiner frühen Kindheit bei uns an Weihnachten zu Gast war, die unausgesprochene Stimmung wohl nicht so ganz vertrug und wie in einer Endlosschleife das textlich und melodisch tiefgründige Lied sang: „My Baby Baby balla balla“ – ein Song, der nach 1965 in unseren Breitengraden durch die Rainbows zum Gassenhauer wurde, wie ich bei der Erstellung dieses Artikels jetzt erst durch Google erfuhr, zum ersten Mal auf YouTube im Original hörte und sah, wie damals vier Männer mit Pilzfrisur ebenso sangen, zum Tanz aufforderten und Massen elektrisierten – und ich meine zu verstehen…
… wieviel „Noël“ vertragen Sie in den Tagen um Weihnachten? Nein, die Rede ist dabei nicht von einem neuen Modenamen (könnte nicht die Herkunft eines kleinen Rassehundes ganz wunderbar durch den schrillen Ruf „Noëeeeeeeeeel… komm sofffortt her!“ unterstrichen werden?). „Noël“ bezeichnet vielmehr die bislang leider immernoch ungekürte familieninterne Maßeinheit für die vielgefragte „Stimmung vor Ort“rund um Advent und Weihnachten. Die Maßeinheit „Noël“ orientiert sich dabei an ihrer viel bekannteren größeren Schwester: der Richterskala. So wie diese die fatalen Folgen misst, die durch die Spannungen der Erdkruste entstehen, so nimmt jene die Spannungen unter unserer Haut wahr. Wo die eine – laut Wikipedia – nur „auf Amplitudenmessungen von Seismogrammaufzeichnungen [basiert], die in relativ geringer Distanz von wenigen hundert Kilometern zum Epizentrum gewonnen“ werden, ist „Noël“ quasi ein Nähe-Distanz-Seismograph, der viel feiner ist und besonders in ganz geringer Distanz zur Geltung kommt: die persönliche Amplitude der nach unten und oben offenen Skale scheint dabei nach oben mehr auszuschlagen, je mehr man sich „seinen Lieben“ nähert, bis der angestaute Druck in zumeist schrillen Tönen entweicht und nach unten, je fester man davon überzeugt ist „in diesem Jahr einmal gaaaanz alleeeeine zu feiern“.

Dass dabei die 2412 Noël nach oben und unten nicht über- und unterschritten werden, wünsche ich Ihnen ganz herzlich!

Text: Martin Brons, Foto: iStockphoto.com