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Antisemitismus in der Sprache
Auf die Wortwahl kommt es an – mehr denn je!

Worte haben immer einen Klang. Auch und gerade der Antisemitismus hat in unserer Sprache viele Spuren hinterlassen. Den meisten ist das gar nicht bewusst. Aber derzeit schärfen immer mehr Menschen ihre Achtsamkeit dafür, dass und wie allein die Wahl unserer Worte politisch ist. Viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sind von offenem oder subtilem Antisemitismus durchzogen. Oft tritt er uns versteckt auch in der Alltagssprache entgegen.

Ronen Steinke ist Journalist bei der Süddeutschen Zeitung und hat 2020 das Büchlein „Antisemitismus in der Sprache | Warum es auf die Wortwahl ankommt“ verfasst.

 

Jiddische Wörter wie Mischpoke, mauscheln, schachern sind Teil der deutschen Alltagssprache geworden. Doch ihre Bedeutung ist oft negativ besetzt. Steinke erklärt, wie ursprünglich neutrale Bezeichnungen judenfeindlich geworden sind, und wirbt für sprachliche Sensibilität im Alltag.

 

Das Wort Mischpoke bedeutete in der Jiddischen Sprache, die vor 100 Jahren noch von ca. 10 Millionen Menschen weltweit gesprochen wurde, einfach Familie – mischpoche. Es hatte weder einen positiven noch negativen Klang.

Eingedeutscht aber hat es einen anrüchigen Beiklang erhalten, etwa im Sinne einer verschworenen Gemeinschaft. Steinke schreibt: „Es ist also ein Bedeutungswandel. Wenn man heute von Mischpoke spricht im Deutschen, hat es immer etwas Sinistres, Dubioses, entweder ein korrupter Zusammenhang oder irgendwie eine dunkle Seilschaft. Und dieser Bedeutungswandel ist nur dadurch zu erklären, dass ein gewisses Bild von Jüdinnen und Juden abgefärbt hat auf dieses Wort. Dieser Bedeutungswandel ist etwas, was antisemitisch ist. Deswegen von dem Wort Mischpoke in der Verwendung als irgendwie Negativ-Wort sollte man Abstand nehmen, um nicht dieses antisemitische Bild, dieses Stereotyp zu nähren und zu affirmieren.“

 

Ebenso eingedeutscht ist das Wort Schachern. Dazu Steinke:

„Geschacher um Ministerposten, so liest man manchmal. Gemeint ist übles, feilschendes Geschäftemachen. 

Es kommt vom jiddischen Sachern. Sachern bedeutet im Jiddischen ganz einfach Handel treiben, ohne jeden abwertenden Unterton. Abwertend wird es erst im deutschen Gebrauch als Lehnwort. Nicht der lexikalische Inhalt, sondern allein die jiddische Herkunft sorgt für eine negative Deutung dieses ansonsten wertneutralen Wortes. Die deutsche Sprache macht daraus ‚handeln wie ein Jude‘.“

 

Ein drittes Beispiel: Das Wort Mauscheln. „Mauschelei bei der Bankenfusion“ oder „Mauschelei im Gemeinderat“ lesen wir in den Schlagzeilen der Zeitungen. Der jüdische Vorname Moses oder Mosche – im deutschen Sprachraum Mauschel –, wurde als pars pro toto, als (Spott-)Name für alle Juden verwendet. Der Mauschel war also der Jude. Mauscheln drückt damit aus: Jemand redet wie ein Jude – und zwar negativ.

„Man mag es vielleicht mit der Intention verwenden, die vollkommen unschuldig ist, dass man ausdrücken möchte, hier werden irgendwie korrupte Dinge besprochen, hinter vorgehaltener Hand im Gemeinderat oder wie auch immer. Aber man greift damit ein altes antisemitisches Klischee auf und verbreitet es weiter“, so Steinke. Und diese Sprechweise ist toxisch.

Mit seinem Buch will Ronen Steinke ganz sicher nicht Wörter verbieten. Aber es geht ihm um dringend gebotene Aufklärung und Unterscheidung. Denn manche eingedeutschten jiddischen Begriffe wie Tacheles (Klartext), Schlamassel (Unglück) oder meschugge (verrückt) haben im Deutschen denselben Sinngehalt wie im Original ihrer Herkunft und damit keine negative Konnotation.

 

Wie aber verhält es sich mit den Begriffen semitisch, mosaisch oder israelitisch, die das Wort jüdisch umschreiben? Sie sind für Steinke „Synonyme zum Davonlaufen“.

Warum das so ist?
Lesen Sie selbst.
Acht Euro, die sich lohnen.

Text: Annette Lichtenfeld
Artikelfoto: imagoimages

INFOs zum Buch:

Antisemitismus in der Sprache:
Warum es auf die Wortwahl ankommt
(Duden-​Sachbuch) Ronen Steinke
Duden, 2020

Ronen Steinke (* 1983 in Erlangen) ist promovierter Jurist, Journalist und Buchautor. 

ISBN: 978-3411743759
Taschenbuch
Preis: 8 Euro