Interview
von Paul Schremser
Der Glaube ist wie ein Haus

Das spirituelle Leben eines Menschen wird gern mit dem Bau eines Hauses verglichen – ein Haus, an dem das ganze Leben lang gebaut und renoviert wird. Manchmal geht sein Bewohner in den Keller der Erinnerungen oder sucht auf der Dachterrasse nach Orientierung. Christian Schmidt war Dekan an der Lorenzkirche, später Regionalbischof des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg. Heute lebt der 69-Jährige im Ruhestand im Nürnberger Westen und ist Prior des evangelischen Konvents Kloster Heilsbronn. Unser Redaktionsmitglied Paul Schremser hat mit ihm über das Haus des persönlichen Glaubens gesprochen.
Citykirche: Eine Woche im Kloster leben, Exerzitien in der Zeit vor Ostern, Einkehrtage auf dem Schwanberg: Woher kommt eigentlich das Interesse von Menschen, sich mal für eine begrenzte Zeit aus dem Alltag auszuklinken? Christian Schmidt: Die Leute spüren, dass sie im Getriebe des Lebens, mit der Reizüberflutung und dem ganzen Stress, in der Gefahr sind, sich selber zu verlieren. Deshalb suchen sie Räume, in denen sie zur Ruhe finden. Der Glaube, der Gottesdienst und das Gebet können eine große Hilfe sein. Einfach einmal rauskommen aus dem Alltag in eine geistlich geprägte Umgebung. Diese Erfahrung haben viele gemacht und festgestellt: Das tut mir gut, das tut meiner Seele gut, das tut meinem Leben gut.

Wenn ich den Glauben an Gott und an Christus mit einem Hausbau vergleiche, was wäre dann die Grundsteinlegung für den Glauben? Das steht schon im Evangelium. Am Ende der Bergpredigt sagt Jesus: Das Leben ist wie ein Haus und es kommt drauf an, dass man das richtige Fundament hat. Denn nicht immer scheint die Sonne, es gibt auch Stürme. Wenn das Fundament nicht stimmt, kann alles zusammenkrachen. Aber was ist das Fundament? Jesus sagt: „Wer meine Worte hört und sie tut, den vergleiche ich mit einem klugen Menschen, der sein Haus auf einen Felsen baute.“* Die Worte Jesu zeigen uns das Fundament: Es ist die Zusage, dass wir einen Gott haben, der uns liebt, der für uns da ist, der uns mag, uns nicht in die Pfanne hauen, sondern immer wieder aufhelfen will.

Manchmal braucht ein Haus eine Renovierung, weil die Wände grau geworden sind oder sich Risse zeigen. Im übertragenen Sinn: Wie sehen diese Renovierungszeiten im Glaubensleben aus? Es ist ja immer besser, wenn es gar nicht erst zu großen Schäden kommt. Das ist billiger und erspart viel Ärger und Zeit. Jeder, der eine Wohnung oder ein Haus besitzt, weiß das. Beim Haus des Glaubens ist es ähnlich. Es ist eine gute Ordnung, dass ich am Sonntag in den Gottesdienst gehe oder regelmäßig Auszeiten nehme. Wir geraten ja immer wieder in den Stress rein, auch im Ruhestand. Deshalb brauche ich immer wieder Zeiten, in denen ich rauskomme, Abstand finde zu den Dingen und auch zu mir selber, um wieder näher zu der Grundlage zu kommen, auf die mein Leben aufbaut.

Trotzdem holt man sich manchmal einen Profi ins Haus, zum Beispiel einen Architekten, der hilft. Wo kann ich Hilfe für meinen Glauben finden, wenn ich sie brauche? Meine Erfahrung ist, dass Gemeinschaft für den Glauben entscheidend ist. In einer Gemeinschaft fällt es viel leichter, zur Ruhe zu kommen, abzuschalten und sich auf das Wort Gottes zu konzentrieren, wenn andere das auch tun. Und dann ist es natürlich auch gut, wenn ich Menschen habe, mit denen ich über meinen Glauben reden kann, die mich geistlich begleiten. Mit denen kann ich mich austauschen, wenn ich mal Schwierigkeiten habe. Das sind die beiden Pfeiler: Die Gemeinschaft in der Gemeinde und ein Mensch oder mehrere, die mich geistlich begleiten.

Ich muss also selber aktiv werden. Jeder muss selber aktiv werden und sich etwas Passendes suchen. Wer gerne singt, kann eine tolle geistliche Heimat in einem der Chöre finden. Da haben wir ja wirklich hervorragende. Es gibt Hauskreise oder Angebote zum Pilgern. Das ist auch eine ganz besondere Form, mal raus zu kommen und sich bewusst zu werden, dass ich im Leben unterwegs bin auf ein Ziel zu. Mal langsam, mal schneller. Mal allein, mal mit anderen. Da lerne ich auch nette Menschen kennen. Aber ich muss halt mal hingehen.

Jetzt gehen wir mal in den Keller. Den Keller zu entrümpeln, das ist keine angenehme Arbeit. Aber das kann trotzdem sehr entlastend und befreiend sein. Woran merke ich, dass auch mein Glaubensleben mal entrümpelt werden muss? Na, es gibt schon so Durststrecken, bei denen
einem alles zum Hals heraushängt. Das Leben ist ja nicht immer nur ein reines Vergnügen. Und auch nicht alle Mitmenschen sind immer so, dass sie die reine Freude sind. Der Apostel sagt: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“** Ich muss mich auch mal auskotzen dürfen. Es ist gut, wenn ich Menschen habe, mit denen ich das tun kann. Die Beichte ist bei uns ziemlich verloren gegangen. Aber sie ist eigentlich der klassische Ort dafür. Nicht als Zwangsinstitut, sondern als großartiges Angebot, das loszuwerden, was mich belastet, um wieder neu anzufangen.

Ein Zimmer aufräumen und putzen: Das gehört auch dazu, um sich zu Hause wohl zu fühlen. Aber oft, so geht es mir, bin ich zu träge dafür. Wie wichtig ist es, das eigene Haus des Glaubens aufzuräumen und mal durchzulüften? Ja, das ist sehr wichtig. Ich muss immer wieder schauen: Was heißt es eigentlich zu glauben und bin ich da noch auf der richtigen Spur? Wenn der Glaube kein Engagement für andere beinhaltet, dann muss ich mich korrigieren lassen. Wenn ich mich im Einsatz für andere so verliere, dass ich keine Zeit mehr habe zum Gebet und zur Meditation, ist es genauso schlecht. Ich muss mich immer wieder auf diese Basis besinnen: Ich bin ein geliebter Mensch Gottes, ich bin frei. In vielen Wohnzimmern gehören die Fernsehnachrichten zum abendlichen Ritual. Wie wichtig sind Rituale für unseren christlichen Glauben? Ohne Rituale können wir unser Leben gar nicht meistern. Wir haben ja auch ganz weltliche Rituale. Wenn ich Auto fahre, überlege ich auch nicht jedes Mal, was ich als nächstes machen muss. Jetzt muss ich den Schlüssel reinstecken, jetzt muss ich die Zündung anmachen und so. Das sind Rituale, die gehen wie von selber. Sie helfen mir zu leben. Wenn ich jedes Mal alles neu überlegen müsste, dann würde ich ja wahnsinnig und käme zu nichts mehr. Also brauchen wir gute Rituale. Ich habe den Ritus: Ich bete immer in der Früh. Ein Ritual hat natürlich auch die Gefahr, dass es gedankenlos und leer werden kann. Dort hat auch die Kritik der Reformatoren angesetzt. Wenn das der Fall ist, muss ich mir überlegen, ob ich noch auf dem richtigen Dampfer bin.

Mancher wohnt in einem Haus mit einer Dachterrasse, wegen der schönen Aussicht. In die Zukunft schauen – was sie bringen mag: Das treibt viele Menschen um. Sorgen und Ängste beschäftigen sie, bringen sie um den Schlaf in der Nacht. Jeden Tag muss ich mich immer wieder auf das besinnen, was mir gegeben ist. Der Wert des Lebens liegt nicht darin, wie viel ich besitze, ob ich Erfolg in meinem Beruf habe, ob ich ganz fit und gesund bin. Der tiefste Wert des Lebens liegt in der Zusage Gottes: „Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter.“ Das muss ich mir jeden Tag klar machen, sonst drifte ich irgendwo ab und die Sorgen fressen mich auf.

Wenn dieses Leben zu Ende geht und der Mensch zurückblickt auf sein Glaubenshaus und es sich noch mal anschaut: Wie kann es gelingen, alles getrost zurückzulassen? Da gilt die Grundzusage Gottes, dass er weiß, wir Menschen sind nicht perfekt. Und: Ich darf auf seine Gnade hoffen. Ich brauche nicht zu verzweifeln. Denn ich kann ihm mein Leben hinhalten: Schau her, Gott, ich habe nach bestem Wissen und Gewissen versucht, so zu leben, wie du es willst. Manches ist gelungen, manches ist nicht gelungen. Nimm du es in Gnaden an und wandle es zum Segen, mach das Beste daraus. Deshalb muss ich keine Angst haben, vor dem Gericht Gottes. Das ist jetzt keine Aufforderung zum leichtfertigen Leben. Aber es ist der große Trost: „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid“***, heißt es etwas altmodisch. Durch das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu weiß ich, dass wir einen liebenden Gott haben. Darauf kann ich vertrauen. Ich muss also nicht auf mich selber bauen, sondern kann auf ihn vertrauen.

 

Fotos: Madame Privé

*Anm. der Red.: Matthäusevangelium 7, 24

**Anm. der Redaktion: 1. Petrusbrief 5, 7

*** Anm. der Red.: Ev. Gesangbuch Nr. 350, 1

 

 

Zur Person

Christian Schmidt, geboren in Neuendettelsau und aufgewachsen in Heilsbronn, war unter anderem Pfarrer an der Nürnberger Lorenzkirche, Dekan in Pegnitz und Nürnberg-Mitte. Dem Evangelischen Konvent Kloster Heilsbronn (EKKH) steht er als Prior vor. Bis zu seinem Ruhestand Anfang 2014 war er Regionalbischof des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg und zugleich Mitglied des Landeskirchenrates und damit Teil der evangelischen Kirchenleitung. Er ist seit 39 Jahren verheiratet. Das Ehepaar hat drei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder.