Gesellschaft
Brot für die Welt
Der Klimawandel und die Armen

Frau Deraëd, das Thema Klimawandel ist in den Nachrichten derzeit in den Hintergrund getreten. Trotzdem gibt es ihn. Welche Folgen hat er für die Menschen, die in Armut leben?

Der Klimawandel entwickelt sich zu einem der größten Hindernisse bei der Überwindung von Hunger und Armut, denn arme Menschen sind besonders anfällig für klimabedingte Kata-
strophen. Häufiger auftretende Extremwetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen, aber auch die schleichenden Klimaveränderungen wie die Ausbreitung von Wüstengebieten bedrohen die Existenz vieler Millionen Menschen.

Vor allem Kleinbauern und -bäuerinnen brauchen Unterstützung, damit sie erfahren, wie sie ihr Land bebauen müssen, um es auch in Zeiten des Klimawandels langfristig und für zukünftige Generationen fruchtbar zu halten. Sie müssen dabei die Kontrolle über ihr Saatgut behalten, um klimaangepasste Sorten verwenden zu können.

Ein großes Problem ist auch die Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser.

Die globale Klimakrise verschärft die ohnehin prekäre Wasserversorgung von Milliarden Menschen. Neben konsequentem Klimaschutz muss auch die gerechte Verteilung und nachhaltige Nutzung der knappen Wasserressourcen in den Mittelpunkt rücken. Besonders schwierig ist die Situation auf dem Land. Dabei geht es nicht nur um Trinkwasser, sondern auch um Wasser für die Landwirtschaft und damit um die Ernährungssicherheit. In vielen Ländern müssen Kleinbauern und nomadische Viehhirtenfamilien fürchten, bei dem verschärften Wettbewerb ums Wasser leer auszugehen.

Bangladesch gehört zu den vom Klimawandel schwer betroffenen Ländern. Die ärmsten Menschen dort schaffen es kaum noch, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Überschwemmungen, Superstürme und die Versalzung der Böden machen ein Überleben auf der Basis von landwirtschaftlichen Erträgen immer schwieriger. Wegen des Klimawandels kommt es zu Schäden und Verlusten, die die Menschen nicht bewältigen können. In der Folge geben viele ihr Leben auf dem Land auf und wandern in die Slums der Metropolen ab. Sie suchen dort nach besseren Lebensbedingungen und nach Arbeit.

Frauen werden in armen Ländern oft benachteiligt oder sogar diskriminiert. Was unternimmt „Brot für die Welt“, um Frauen zu fördern und zu unterstützen?

Die Benachteiligungen von Frauen sind vielfältig. Von den zwei Milliarden mangelernährten Menschen auf der Welt sind 1,4 Milliarden weiblich. Frauen verdienen weltweit mit der gleichen Arbeit meist deutlich weniger als Männer. Die Müttersterblichkeit ist unnötig hoch. Mädchen haben schlechtere Bildungschancen als Jungen und das Erbrecht benachteiligt Töchter und Ehefrauen nahezu überall. Außerdem leiden Frauen und Mädchen unter einer weitverbreiteten, geschlechtsbasierten und sexualisierten Gewalt. „Brot für die Welt“ möchte all das ändern.

Viele unserer Projekte richten sich vorwiegend an Frauen. Im Bereich Landwirtschaft und Ernährung der Familie sind es die Frauen, die das komplexe Anbauwissen von Generation zu Generation weitergeben, die Produkte vermarkten und die Hauptverantwortung für die Existenzsicherung ihrer Familien tragen. In Wasserprojekten sind oftmals Frauen für die Verteilung und den gerechten Zugang zuständig. Das stärkt ihren Status und damit ihr Selbstvertrauen. Kurze statt zeitraubende Wege zum Wasser erlauben es den Frauen, dass Felder und Gärten besser bewässert werden und die Ernteüberschüsse verkauft werden können. Damit kann dann das Schulgeld bezahlt werden, damit auch Mädchen regelmäßig zur Schule gehen können.

Wie wird sichergestellt, dass die Spenden auch tatsächlich ankommen?

Die Wirksamkeit der Projekte zu überprüfen, ist bei „Brot für die Welt“ schon lange Teil der Qualitätssicherung. Wir lassen jedes Jahr mehr als 100 unserer Projekte von externen Gutachtern evaluieren. Eine Wirkungsdokumentation in den Bereichen der ländlichen Entwicklung, der Frauenförderung und der Inlandsarbeit bestätigt zum Beispiel, dass wir mit unseren Partnern dazu beigetragen haben, die Lebenssituation von Millionen Menschen zu verbessern. Eine wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Wirkung liegt in der Strategie des „Empowerments“: Partnerorganisationen und Zielgruppen werden ermutigt und befähigt, ihre Probleme selbst zu lösen und ihre Rechte zu vertreten. 

Wir setzen uns mit unseren Partnerorganisationen dafür ein, dass alle Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität die gleichen Chancen erhalten. Alle Projekte – von der Verbesserung landwirtschaftlicher Methoden bis zur Demokratieförderung – sind darauf ausgerichtet, die Kluft zwischen den Geschlechtern zu verringern und die Diskriminierung zu beseitigen.

Worin bestehen die größten Herausforderungen von „Brot für die Welt“ in der Zukunft?

Neben dem Klimawandel, von dem schon die Rede war, geht es um die zunehmende Einschränkung der Zivilgesellschaft in vielen Ländern. Das ist eine große Herausforderung für „Brot für die Welt“ und unsere Partnerorganisationen. Rund 260 Millionen Menschen weltweit, das sind nur 3 % der Weltbevölkerung, genießen uneingeschränkte, zivilgesellschaftliche Freiheiten. Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden in 153 Staaten massiv eingeschränkt. Dazu kommen gesetzliche Regelungen, die es zivilgesellschaftlichen Organisationen massiv erschweren oder sogar unmöglich machen, mit ausländischen Nichtregierungsorganisationen wie „Brot für die Welt“ zusammenzuarbeiten.

„Brot für die Welt“ berät und unterstützt Organisationen, wenn Regierungen die Zusammenarbeit mit uns systematisch behindern. Wir dokumentieren die Fälle und erarbeiten vergleichende Länderstudien, um anderen Betroffenen die Probleme aufzuzeigen und ihnen Lösungsansätze zur Verfügung zu stellen. Wir organisieren Treffen mit anderen Organisationen, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Gegenstrategien zu vereinbaren. Darüber hinaus nehmen wir zusammen mit den betroffenen Organisationen Einfluss auf die nationale und die internationale Politik und verteidigen so die zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume.

Denn: Eine lebendige Demokratie, die gegen Armut und für Gerechtigkeit und Frieden kämpft, braucht eine starke und eigenständige Zivilgesellschaft, die sich einmischt.

Interview: Paul Schremser
Artikelfoto: Thomas Lohnes / Brot für die Welt
Porträtfoto oben: DWB