„Bleib‘ bei mir, HERR! Der Abend bricht herein.“ So beginnt eines der schönsten Abendlieder im Gesangbuch (Nr. 488). Sein Thema, die nachdrückliche, innige, fast beschwörende Bitte, dass Gott doch bitte bei der singenden Person bleiben möge, wird dann auch mit der Begründung unterstrichen, dass wir „umringt von Fall und Wandel leben“.
Fall und Wandel, das wird hier bedauert. Man kann es ja auch verstehen. Nichts ist sicher und verlässlich auf dieser Welt. Niemand weiß, was kommen wird. Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben sich die Dinge so schnell verändert, wie es heutzutage geschieht. Früher wurden Weisheiten und Deutungsmuster durch die Generationen weitergereicht. Heute versteht ein Sechzigjähriger oftmals kaum noch, worüber die Vierzigjährigen reden. Technologie, Politik, Erklärungszusammenhänge wandeln sich so rasant, dass man allein beim Nachdenken darüber außer Atem kommen kann.
„Umringt von Fall und Wandel leben wir. Unwandelbar bist du: Herr, bleib bei mir!“ Wenigstens einer, der sich nicht verändert.
Aber ist das mit dem Wandel so eine schlimme Sache? Kolleg*innen aus dem Redaktionsteam haben mich auf eine andere Sichtweise von Wandel und Veränderung gestoßen. In beiden biblischen Testamenten ist es eine absolute Grundüberzeugung, dass sich die Dinge zum Guten wandeln werden. In der Lutherbibel sind ein paar Verse bei Jesaja z. B. als „Die große Wandlung“ überschrieben, gefolgt von: „(…) die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein (…) Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen (…)“ Und so weiter (aus Jesaja 29, 17–24). Wandel und Veränderung haben immer das Potenzial zum Positiven. Dieser rote Faden der Bibel ist in dieser Hinsicht somit eher ein rotes Tau.
Und darauf will ich immer hinaus. Wenn ich predige oder mir selbst Mut zuspreche in bescheidenen Situationen, dann sage ich: Da kommt noch etwas Gutes um die Ecke. Paulus schreibt: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Das bittere Ende ist niemals das Ende, denn das Ende wird gut. Wandel und Veränderung sind nicht bedrohlich! Im Gegenteil: Ihnen wohnt ein Zauber inne, so Hermann Hesse.
Es ist nicht immer leicht, das so zu sehen. Aber es ist erlernbar, dem Wandel tendenziell offen und mit freudiger Erwartung entgegenzusehen. Auch wenn es streckenweise einmal enttäuschend und schwergängig sein mag, wohin sich mein Leben gerade wandelt, dann erwarte ich doch bald die nächste, erfreulichere Veränderung. Der unwandelbar gute und mich liebende Gott ist bei mir. Was kann mir schon passieren? Ein anderer Redaktionskollege hat mich kürzlich auf ein Wort aus dem Thomasevangelium gestupst: „Werdet Vorübergehende.“ Das soll Jesus gesagt haben. „Werdet Vorübergehende.“ Seid selbst Agent*innen des Wandels. Lasst hinter euch, was belastet. Seht die Chance in neuen Gewohnheiten. Es ist kein Verlust, hinter sich zu lassen, was schon generationenlang falsch gemacht wurde. Der Wandel hin zu bewussterer Ernährung, klimafreundlicherem Leben, größerer Mitmenschlichkeit … birgt Chancen. Und so wird „Wandel“ schnell zum Hoffnungswort.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, welche Ausstrahlung fast alle alten Menschen umweht, die wir als „weise“ empfinden? Es ist meistens eine große Gelassenheit und Neugierde. Wir empfinden diejenigen als weise, die auch mit achtzig oder neunzig noch mit positiven Überraschungen rechnen und den Jungen zutrauen, die große oder kleine Welt zum Besseren zu verändern.
Es ist ein offenes Geheimnis: Unsere Einstellung zu Wandel und Veränderung beeinflusst unser Lebensgefühl. Wem Wandel ein Freund ist, der oder die wird für die Umgebung zum Fels. „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden“, schreibt Paulus. Für mich bedeutet das, dass der unwandelbare Gott uns in die Person verwandeln wird, als die er uns geschaffen hat, in unser ewiges Ich. Da werden wir dann nicht mehr von Fall und Wandel umgeben sein. Aber bis dahin dürfen wir Wandel und Veränderung ruhig genießen – als Vorboten des Guten, das noch kommt. Text: Jan Martin Depner Collage: Adobe Stock