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Eine Waldmeditation
Die Bäume und der Glaube

Ich gehe gern im Wald laufen. Die Natur beruhigt mich und bringt mich sanft aus dem Alltag heraus.

Sofort wird es ruhiger um mich und in mir. Am besten finde ich es, im Wald allein zu sein! Mit anderen, die vielleicht ein anderes Wandertempo oder vielleicht gar keine Lust auf Wald haben, wird es schwierig. Die Bäume stehen ja auch alle jeder für sich allein da.

Als Pfarrer denkt man ja nur an seine Gemeinde und so erinnern mich auch die Bäume im Wald an Menschen aus der Gemeinde: auch da gibt es knorrige, alte Gewächse, die schon manchen Sturm des Lebens ausgehalten haben und jetzt fest verwurzelt stehen. An deren Rinde kann man sehen, dass es auch schwerere Zeiten gab, Verletzungen – und trotzdem blühen diese Bäume jedes Jahr neu.

Da gibt es junge Pflänzchen, die noch wachsen müssen und das unter den sicheren Kronen älterer Pflanzen können.

Es gibt gerade Eichen und trauernde Weiden.

Es gibt welche, die wie die Kastanie andere mit ihren guten Früchten erfreuen, und manche, die Dornen und Stacheln ausgebildet haben, um niemanden so richtig an sich ranzulassen.

Manche Bäume sind alt und brüchig geworden, andere stehen im Alter fest und trotzen allem, was da kommt.

Sie bilden gemeinsam den Wald.

In dem Buch „Das geheime Leben der Bäume“, das monatelang auf den Bestsellerlisten stand, schreibt der Förster Peter Wohlleben ganz anschaulich und interessant, dass es ihm am Anfang tatsächlich um die Holzindustrie ging: „Als ich meine berufliche Laufbahn als Förster begann, kannte ich vom geheimen Leben der Bäume ungefähr so viel wie ein Metzger von den Gefühlen der Tiere. (…) In Gesprächen mit den vielen Besuchern (des Waldes) wurde mein Waldbild wieder geradegerückt: krumme, knorrige Bäume, die ich damals noch als minderwertig einordnete, riefen bei Wanderern Begeisterung hervor.“

Das erinnert mich schon wieder an die Gemeinde, dass gerade die Menschen, die andere oberflächlich als krumm und knorrig bezeichnen würden, besonders interessant und nicht nur einen zweiten Blick wert sind, sondern oft Säulen des Gemeindelebens sind.

Aber noch mehr verbindet den Wald mit einer Gemeinde: der Förster erzählt im Buch von einem Baum, der vor 400 bis 500 Jahren gefällt wurde. Dessen Baumstumpf entdeckte er.

Und obwohl der Baumstumpf seit 500 Jahren ohne Blätter keine Fotosynthese betreiben kann, lebt er noch. Und zwar deswegen, weil seine Nachbarbäume ihn über die Wurzeln, die teilweise miteinander verwachsen waren, mit Nährstoffen versorgten.

Der Förster schreibt: „Doch warum sind Bäume derart soziale Wesen, warum teilen sie ihre Nahrung mit Artgenossen (…)? Die Gründe sind dieselben wie bei menschlichen Gesellschaften: Gemeinsam geht es besser. (…) Würden sich alle Exemplare nur um sich selbst kümmern, dann erreichten sie nicht die Altersphase.  (…) Jeder Baum ist wertvoll für die Gemeinschaft und verdient es, so lange wie möglich erhalten zu werden. Daher unterstützt man sogar kranke Exemplare und versorgt sie mit Nährstoffen, bis es ihnen wieder bessergeht.“

Der Förster nennt das sogar „Freundschaft“ unter den Bäumen. Wurzeln, die Nährstoffe austauschen, sind nur ein Teil des geheimen Lebens der Bäume, das Peter Wohlleben schildert.

Aber mich hat schon allein das fasziniert, dass Bäume, nicht, wie man eigentlich meint, laut Peter Wohlleben Einzelgänger sind, denen das Leben und alles um sie herum egal ist, die autark von ihrer Umwelt leben – sondern dass auch sie gewissermaßen soziale Geschöpfe sind mit gemeinsamen Wurzeln.

„Gesegnet ist derjenige, der sich auf den Herrn verlässt. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach streckt.“, steht beim Propheten Jeremia (Jer 17,7f).

Ein Baum, der feste Wurzeln hat, der wächst, der wird groß.

Jemanden mit festen Wurzeln, dem müssen keine Stürme Angst machen, die in einem Menschenleben wüten. Wer feste Wurzeln hat, den haut so leicht nichts um!

Das habe ich in dem Baumbuch nicht gelesen, aber ich denke, es ist auch die Verbindung mit den Wurzeln der anderen Bäume, die den Bäumen noch mehr Stabilität gibt. Wir Menschen brauchen auch solche Gemeinschaft, wir brauchen Austausch, dazu haben wir bei uns immer wieder Möglichkeiten für Gespräche über den Glauben. Besonders im Glauben brauchen wir das Gefühl, nicht allein zu sein – um unsere Wurzeln zu stärken und so allen Lebensstürmen zu trotzen.

Text: Hannes Schott
Artikelfoto: iStockphoto.com