Titelthema
500 Jahre Engelsgruß
Die Entstehung des Engelsgrußes

Die berühmteste Stiftung in St. Lorenz ist der Patrizierfamilie Tucher zu verdanken. 1517 beauftragte der Oberste Losunger Anton II. Tucher den als Querulanten verrufenen und als Betrüger gebrandmarkten alten Bildhauer Veit Stoß damit, für den Lorenzer Hallenchor ein Marienbildnis zu schnitzen.
Stoß gab dem Rosenkranzgebet eine bildhafte Sprache. An zentraler Stelle steht die Verkündigung an Maria. Fünf Medaillons unterbrechen den Rosenkranz und zeigen die Geheimnisse des Glaubens. Als Mittel zur Meditation ist dem Kranz eine Paternosterschnur aufgelegt. Zur Beleuchtung des Kunstwerks ist der Marienleuchter vorgesehen, ausgeführt in der Werkstatt Jakob Pulmanns. Mit seinen 55 Kerzen ist er ein prächtiges Leuchtmittel. Auch heute noch werden die vielen Kerzen entzündet, zweimal im Jahr: in der Lorenzer Osternacht und zur Christmette. Dies zaubert sehr lebendige, bewegte Effekte auf die Gewandfalten der Schnitzfiguren, erzeugt durch das Flackern der Kerzen.

Nur ein Jahr nach seiner Aufhängung 1518 wurde über dem Schnitzwerk eine Krone angebracht, die es ermöglichte, das Objekt mittels eines Vorhangs den Blicken der Gläubigen zeitweise zu entziehen, wie es auch beim „Wandeln“ der Flügelaltäre Brauch war. Jahrhundertelang hing der Engelsgruß verhüllt hoch oben im Chorgewölbe, wo man ihn bei der Reformation 1525 hinaufgezogen hatte. Erst mit der Annexion der Freien Reichsstadt Nürnberg durch Bayern 1806 wurde es gefährlich für das Kunstwerk.

Der Engelsgruß wurde 1811, ohne Rücksprache mit der Stifterfamilie, auf die Burg gebracht und in der Kapelle einer königlichen Raritätensammlung eingegliedert. Weil das Schnitzwerk viel zu groß für den kleinen Raum war, wurde es von dort bald wieder abgenommen und 1816 in die katholische Frauenkirche gebracht, für die es ebenfalls zu groß war. Im März 1817 führte man den Engelsgruß deshalb nach St. Lorenz zurück. Weil die alte Kette, an der er einst hing, mittlerweile verschleudert war, hing man ihn an ein abgewetztes Seil. Wenige Tage später geschah das Unvermeidliche. Am 2. April riss das Seil, der Engelsgruß stürzte ab und zerschellte am Boden in tausende Teile, die man immerhin im Obergeschoss der Sakristei barg. Erst 1825/26 setzten die Bildhauerbrüder Lorenz und Michael Rotermundt das Werk wieder zusammen. Einige Details konnten jedoch nicht mehr wiederhergestellt werden. Von den Engeln über Gabriel und Maria gingen zwei verloren, außerdem fehlt neben der Krone das ikonografisch so wichtige Christuskind auf dem Szepter Gabriels.

Am 4. September 1939, drei Tage nach Kriegsausbruch, wurde der Engelsgruß abgenommen. Während des 2. Weltkrieges im Kunstbunker eingelagert, überstand das Kunstwerk die Bombenangriffe auf Nürnberg. Seit 1952 ist es wieder an seinem ursprünglichen Ort in der wiederaufgebauten Lorenzkirche zu sehen. 1970/71 restaurierte ein internationales Restauratorenteam das Kunstwerk; dabei wurde seine originale Fassung wieder vollständig freigelegt. In regelmäßigem Turnus wird der Engelsgruß seitdem zur Pflege und Wartung alle 7 Jahre herabgelassen und gereinigt. Dies wird anlässlich seines 500. Jubiläums auch im Juli 2018 (1.–17. Juli 2018) wieder der Fall sein.

 

Text: Susanne Bammessel

Fotos: Thomas Bachmann