Lesetipp
„Die Glücklichen“ von Kristine Bilkau

Eine Kleinfamilie wie aus dem Bilderbuch: Isabell, Georg und der kleine Matti. Gebildet, gut aussehend, gut verdienend. Sie wohnen geschmackvoll mitten in Hamburg in einer Altbauwohnung. Isabell und Georg sind ein glückliches Paar. Sie ist Cellistin und er arbeitet als Journalist.

Jeden Abend fährt Isabell zu den Aufführungen eines Musicals. Sie arbeitet im Orchestergraben und nicht in einem Symphonieorchester, wie sie es sich vielleicht erträumt hatte, aber sie ist zufrieden. Es genügt, um in Bioläden einzukaufen, ohne die genauen Preise zu kennen.

Georg ist Redakteur bei einer Tageszeitung. Tagsüber sitzt er an seinem Schreibtisch um die Texte Anderer zu redigieren und manchmal auch sogar selbst hinauszufahren und dann einen Bericht über ein Aussteigerpärchen zu verfassen. Es sind keine preisgekrönten Reportagen aus Kriegsgebieten, aber es reicht für die teure Miete. Sie stellen hohe Ansprüche an ihr Leben und wollen an scheitern nicht denken.

Als Isabell nach der Babypause in ihren Beruf zurückkehrt, beginnen die Probleme. Die eigenen Anforderungen sowie die Doppelbelastung von Familie und Beruf werden zu groß. Ihre Hände beginnen unkontrolliert zu zittern. Sie vertraut sich niemandem an, denn was sie nicht ausspricht, kann auch nicht sein.

Auch Georg verliert seinen Job, da aufgrund des Sparkurses seiner Zeitung Stellen abgebaut werden. Plötzlich droht der soziale Abstieg. Können sie sich die teure Wohnung noch leisten? Sollten sie nicht besser aufs Land ziehen? Müssen es immer Bioprodukte sein? Sie gehören plötzlich nicht mehr dazu.

Präzise beschreibt Kristine Bilkau die Krise, in die das Paar gerät. Jeder kämpft für sich allein mit Realitätsflucht gegen die Existenzangst. Georg sucht im Internet teure Häuser auf dem Land, die sie sich nie 

werden leisten können. Isabell kauft verschwenderisch Kleidung und Lebensmittel. Beide klammern sich an den schönen Schein und treiben sich damit gegenseitig in die Enge. Billigurlaub, Billigmarmelade, Wasser- und Stromsparen sind plötzlich Diskussionspunkte.

„Die Glücklichen“ ist keine lieblose Geschichte über in obligatorische Existenzkrisen geratene Mittdreißiger, die sich in ihren gentrifizierten Stadtteilen bloß noch die Hälfte ihrer überteuerten Bioprodukte leisten können. Kristine Bilkaus literarische Analyse reicht tief hinein in die junge Generation, deren zentrales Ziel die Effizienzsteigerung in jedem Lebensbereich ist. Nicht mehr nur im Beruflichen muss man sich zu verkaufen wissen, auch das Privatleben muss repräsentabel sein. Für die anderen, welche auch so leben. Für sich selbst, damit man nicht zu zweifeln beginnt. Der Anspruch, jeden Fehlschlag schon im Vorhinein abzuwenden, sorgt auch im Falle von Isabell und Georg für Stillstand und ständige Anspannung. Erst ein Schicksalsschlag reißt beide aus ihrer Effizienzstarre. „Die Glücklichen“ ist daher ein sehr lesenswertes Porträt zweier Menschen, von denen es heute in unserer durchorganisierten Leistungsgesellschaft viele geben dürfte.
(Text: Cordula Langenstein, Buchhandlung Korn & Berg am Hauptmarkt, Foto: © Luchterhand)


Kristine Bilkau erzählt in ihrem bemerkenswerten Debütroman
„Die Glücklichen“ von der Angst
der jungen Generation vor dem Scheitern.