Editorial
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Liebe Leserin, lieber Leser,

eigentlich wollte ich die fast druckfertige Ausgabe dieser Citykirche nur schon mal schnell durchblättern … und dann bin ich doch hängen geblieben. Ich habe mich festgelesen, wollte unbedingt gleich verstehen, wie es sich mit dem Zusammenhang zwischen Gefühl und Emotion verhält.

Ganz schön kompliziert so ein Mensch. Immer wieder funken uns Emotionen dazwischen, stören unsere geplanten Abläufe und verderben uns unser wohlkontrolliertes Auftreten. Und dann sind wir wiederum so unglaublich glücklich über die Fähigkeit zu großen Gefühlsregungen: Im Wind auf der Düne bei Sonnenaufgang; mit Tränen in den Augen am Ende des Films; Schmetterlinge im Bauch, wenn der Geliebte um die Ecke kommt … wie

schön!

Keine Stunde unseres Lebens, in der unsere Emotionen keine Rolle spielten. Woher kommt diese ansteckende Kraft? Können Sie sich dem Lachen der Frau auf dem Titelbild entziehen? Und wie viel stärker wirkt das noch, wenn wir den Emotionen realer Menschen um uns herum ausgesetzt sind! Da kann ich fast verstehen, wenn es einem Menschen zu viel wird und er oder sie sich hinter den sicheren Bildschirm zurückzieht. Und gleichzeitig ahnen wir, dass Emotionen wie Sehnsucht die wahrscheinlich größten Triebfedern unserer Existenz sind. Der Mensch ist wirklich kompliziert. Warum nur?

Mir kommt in den Sinn, dass wir „wenig niedriger geschaffen sind, als Gott“ (Psalm 8,6). Ist das also vielleicht Absicht, dass wir mit so einem komplizierten Gefühlsleben ausgestattet sind? Ist Gott auch so emotional wie wir? Ich glaube schon. Wenn wir davon ausgehen, dass gute Beziehungen das Wichtigste im Leben sind, dass aus Gottes Sicht Beziehungen das Zentrum des Universums darstellen und er täglich zu uns in Beziehung treten will, dann können wir wohl mit Sicherheit sagen: Ja, unsere Emotionen gehören dazu und sind Teil unserer Würde und Großartigkeit.

Dazu passt dann auch gleich eine Beobachtung der Gefühlsäußerungen Jesu im vorderen Teil dieses Heftes. Der Grundkurs Emotionen und der Artikel über Gewaltfreie Kommunikation helfen uns, tiefer ins Verstehen der eigenen Gefühlswelt einzusteigen.

In dieser sehr bunten Ausgabe berichten Besucher unserer Citykirchen darüber, wie diese zauberhaften Räume auf sie wirken, und sehr unterschiedliche Menschen beschreiben, wie ein spezielles Gefühl ganz individuelle Ausprägungen hat. Und während die „Gefühlsfische“ der Künstler der Löheschule uns vermutlich begeistern, werden geschichtliche Rückblicke sicher ganz andere Emotionen in uns wachrufen: Die sich gerade gejährt habende Zerstörung Nürnbergs am Sebalder Beispiel oder das Leid schwuler Menschen in Flossenbürg, an das eine Ausstellung in St. Egidien erinnert. Das ganze Spektrum der Gefühle findet sich in diesem Heft und natürlich auch im kirchlichen Leben. Mit dem Beginn der Passionszeit ändert sich die Grundstimmung auch in unserem gottesdienstlichen Feiern, quasi mittendrin im Gültigkeitszeitraum der Termine dieses Magazins.

Wir hoffen, wir sehen Sie in Konzerten und Gottesdiensten, bei Andachten und in Ausstellungen, in Gruppen oder einfach zwischendurch. Seien Sie behütet, Ihr 

Jan Martin Depner

Pfarrer St. Lorenz