Innenstadt
Ein neuer tag
Ein neuer Tag, der glitzert und knistert, knallt und jubiliert …

„Der frühe Morgen ist meine Zeit“, erklärt mir meine Freundin. „Wenn die Familie noch schläft, schüre ich den Kaminofen im Wohnzimmer an und setze mich mit einer Tasse Kaffee auf meinen Sessel. Diese Stunde gehört mir. Egal wie die Nacht war, ob ich ausgeschlafen und erholt bin oder ob mir einige Stunden Schlaf fehlen: Ich beginne den neuen Tag ganz bewusst. Meistens lese ich die Losungen oder einen Abschnitt aus der Bibel. Das hilft mir, meine Gedanken am Morgen auf Wesentliches zu konzentrieren. Danach kann der Trubel kommen, Kinder wecken, Frühstück machen, zur Arbeit fahren. Diese Stunde am Morgen ist meine Kraftstunde.“

Die erste Stunde am Morgen ist wie eine Aussichtsterrasse für den Tag. Das stimmt wirklich. Fast jeden Morgen gehe ich mit der ersten Tasse Tee kurz auf unseren Balkon. Ich habe das unverschämte und unverdiente Glück, von dort aus über den Wöhrder See der aufgehenden Sonne entgegenschauen zu können. Dann kann ich gar nicht anders, als Gott für den neuen Tag zu danken, für die Schönheit unserer Welt und dass ich wieder einen neuen Tag erleben und leben darf: gespannt darauf, was heute alles sein wird.

Wie man den Tag beginnt, so verläuft er. „Der ist mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden“, so sagt man über einen Menschen, der schlechte Laune hat.

Es geht auch anders. Die ersten Gedanken am Morgen positiv füllen, dankbar sein: für den Schlaf in der Nacht und für mein Leben. Sich auf etwas Gutes am neuen Tag freuen, mit Liebe an die Menschen denken, die zu einem gehören. Das alles gibt dem neuen Tag einen Glanz, eine frohe Grundmelodie. Und das trägt auch dann, wenn Arbeit und Chaos oder großer Ärger einen später überrollen.

Die Morgenlieder in unserem Gesangbuch liebe ich sehr. Lesen Sie die einmal durch – im Evangelischen Gesangbuch (EG) ab Nr. 437. An ihnen erkenne ich, wie Menschen früherer Generationen den Wechsel von der Nacht zum Tag sehr viel bewusster und dankbarer wahrgenommen haben.

Die Nacht war eine Bedrohung und es war alles andere als selbstverständlich, am nächsten Morgen wieder gesund aufzuwachen: Gott, ich danke dir von Herzen, dass du mich in dieser Nacht vor Gefahr, Angst, Not und Schmerzen hast behütet und bewacht. (EG 445,2).

Und jeder neue Morgen ist wie ein neu geschenktes Leben: Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder, nun aber steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht. (EG 449,1)

Wie beginnen Sie den Morgen? Mit einem Ritual, mit einem Gebet, mit einer „Stillen Zeit“? Was hilft Ihnen, jeden Tag wie einen neuen Anfang zu beginnen? Ich bewundere die Menschen, die konsequent mit einer halben Stunde Meditation oder Bibellese ihren Tag beginnen. Das schaffe ich leider nicht.

Und ich schaffe es auch längst nicht immer, das sprichwörtliche Gold der Morgenstund‘ zu genießen.

Manchmal, da starte ich einfach übermüdet und schlecht gelaunt in den Tag, bin grantig und schlecht organisiert. So ist das Leben. Zum Glück, nein: Gott sei Dank, ist ja morgen auch wieder ein Tag. Und vielleicht kann ich den anders, schöner, froher beginnen: Gott will ich lassen raten, denn er all Ding vermag. Er segne meine Taten an diesem neuen Tag. (EG 443,6)

Text: Annette Lichtenfeld
Artikelfoto: Istockphoto.com