Titelthema
Emotionen und Kirche

„Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel es tun, sondern man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet“, hatte Luther erkannt (übertragen aus dem Sendbrief vom Dolmetschen 1530).

Neue Wortverbindungen entstanden: Lückenbüßer, friedfertig, wetterwendisch, Machtwort, Feuereifer, Langmut, Lästermaul, Morgenland. Alles von ihm. Er verband bloße Bezeichnungen mit den zugehörigen Empfindungen. Heute, denke ich mir, würde Luther nicht nur auf den Mund, sondern auch auf das Handy schauen, wenn es um Sprache geht. Kurznachrichten sind keine gehobene Sprache, natürlich nicht.

Aber Kurznachrichten sind Alltag für ungefähr 49 Millionen Smartphone-Nutzer in Deutschland. In jeder zweiten SMS, WhatsApp-Nachricht oder im Tweed taucht ein Emoticon auf. Ein Piktogramm. Ein Bildchen als Symbol. Buchstabierst du noch oder symbolisierst du schon? Meistens geht es um Emotionen. Ein Blick auf das Emoticon (von denen es inzwischen allerlei Gattungen gibt) genügt, und der Leser „weiß“, wie es dem anderen geht oder in welcher Situation er gerade ist.

Das alles ohne lange Erklärungen oder missverständliche Umschreibungen, ohne Mimik und Gestik. Die Bildchen verraten viel über den Verfasser und seine Lebenswelt. Und sie haben Wirkung. Wer sie nutzt, wirkt z.B. sympathischer oder die Nachricht wird emotionaler aufgenommen. Ich möchte nicht sagen, dass es ein Zerfall der Sprache ist. Es ist eine neue Art sich mitzuteilen, eine andere, als viele es gewohnt sind. Menschen drücken ihre Gefühle aus, schneller, direkter und offener als früher. Sie lassen den anderen großzügiger an ihnen teilhaben als zuvor. Sie verschenken sie regelrecht.

In dieser „Citykirche“ geht es um Emotionen und Kirche. Tobias Fritsche wagt in seinem Leitartikel einen Blick in die Kirchengeschichte. Annette Lichtenfeld wollte von Barbara Hauck wissen, wie die Gefühlslage vor Weihnachten in der Offenen Tür ist. Meine Frage „Wie ist es, die Kirche zu verlieren?“ in Heft 59 weckte Emotionen und brachte mir gefühlvolle Antworten ein, die in dieser Ausgabe vorgestellt werden. Adventsgefühle, Weihnachtsvorfreude und Lust auf Silvester wollen die Konzerte und Veranstaltungen auf dem Egidier Berg und in den anderen Innenstadtkirchen St. Jakob, St. Lorenz und St. Sebald auslösen. Aber jetzt weitergeblättert und eingetaucht in die emotionale Landschaft des Citykirchenmagazins.

Ihre Simone Hahn