Innenstadt
Das regt mich auf!
Engel, und sie wissen es gar nicht

Die kleine Tochter ist behindert. Sie sieht nur 60 cm weit und muss wegen der Empfindlichkeit ihrer Augen eine Brille mit stark getönten Gläsern tragen. Die erste Krankenkasse hat die Kosten für Gestelle und Gläser nicht übernommen. Klar doch: In der Wachstumsphase der ersten Lebensjahre würde wiederkehrend eine neue Brille fällig. Man müsse die Solidargemeinschaft schützen. Die zweite Kasse erstattet immerhin das Gestell.
Nur: Wer zahlt die Gläser, wenn das Gehalt des Ernährers aus seiner Tätigkeit im Sicherheitsdienst nur wenig über dem Betrag liegt, bis zu dem Familien unterstützt und gefördert werden? Ach, und dann noch der kleine Familienhund. Er ist der Vertraute der Tochter. Er leitet und begleitet die Kleine durch das Gewirr der Stadt. Gerade liegt er schlafend unter dem Tisch.

 

Die Schwester der Frau ist erwachsen, aber geistig auf dem Stand einer 11-Jährigen. Seit dem Tod der Mutter kümmert sie sich um ihre Schwester. Wenn sie von der Arbeit in der Behindertenwerkstatt nach Hause kommt, braucht auch sie intensive Betreuung. Die vier leben in einer kleinen Wohnung. Mehr ist finanziell nicht drin. Die junge Frau erzählt mir alles und hält dabei ihre Tochter im Arm. „Was bekommen Sie eigentlich für die Betreuung Ihrer Tochter und Ihrer Schwester?“ Die Frage liegt mir die ganze Zeit auf der Zunge, schließlich kann ich sie mir nicht verkneifen. Summa summarum ist es ein wenig mehr als 400 € (Kindergeld und Pflegegeld).

 

Dafür, dass jemand sich in solch einem Ausmaß kümmert!?

 

Ich merke, dass es in mir brodelt. Jeder Euro wird zweimal umgedreht, dauernd wird überlegt, was möglich ist. Höchste Priorität haben die Brillen, aber wovon wird dann das längst fällige Bett bezahlt? Oder die Kleidung? Da ist kaum Spielraum, da wird genau geplant und gerechnet. Übrigens: Die Mutter kam nicht, um zu betteln, sie wollte ihre Tochter taufen lassen. Während ich all das höre, bin ich froh, dass an Weihnachten so viel Geld gespendet wurde, und dass meine Gabenkasse gefüllt ist. Die Freigiebigkeit vieler Menschen eröffnet mir die Möglichkeit, großzügig zuzusagen: Das Bett bezahlt St. Jakob – inkl. Matratze und Kissen. Inzwischen ist es da: lila! Und am Kopfende bewacht die Eisprinzessin Elsa den Schlaf. Ich glaube, diese Geschichte hat viele Engel, die gar nicht wissen, dass sie welche sind. Aber vielleicht haben Sie ja jetzt eine Ahnung davon, wer das alles sein könnte.

 

Text: Simone Hahn; Illustrationen: Kinder bei Tohuwabohu Kirche für das Taufkissen