Ausstellung
Woodstock
Erfahrungen, die unter die Haut gehen

Fällt das Stichwort „Woodstock“, so beginnt noch immer manches Auge verklärt zu strahlen, und manche Härchen am Unterarm stellen sich wohlig erregt in die Höhe. Ein Mythos, der bis heute begeistert und fasziniert. Dabei ist es doch schon 50 Jahre her, dass die Mutter aller Rock-Festivals mit dem schönen Titel „3 Days of Peace & Music“ vom 15.–18. August 1969 auf einem schlichten Acker bei dem so biblisch klingenden Örtchen Bethel im US-Bundesstaat New York stattfand.

Mit dem Jubiläum in diesem Jahr wird die Deutungsmaschine noch einmal angeworfen: War es der Durchbruch der lange zaghaft herangewachsenen Counter-Culture zu einem epochemachenden Phänomen? Oder eher der Beginn einer Verflachung und Kommerzialisierung der Utopie von einem anderen Leben, das man von nun an glaubte auf einem Schallplattenalbum mit nach Hause nehmen zu können? War es ein erstaunliches Signal für friedliches Zusammenleben und Befreiung von spießigen Konventionen? Oder ein hedonistisches Spektakel aus Drogen, oberflächlichem Sex und schlechter
Veranstaltungstechnik? Im Herbst 2019 sind wir hoffentlich etwas schlauer.

Dazu beitragen könnte auch die Ausstellung, für die St. Egidien vom 15. August bis Ende September das Kirchenschiff freiräumt, um großformatigen Fotografien des offiziellen Woodstock-Fotografen Elliott Landy das Feld zu überlassen. Woodstock in der Kirche? Ja, genau diese Auseinandersetzung mit dem kulturellen Entwicklungsschub der 60er Jahre halten wir für sinnvoll.

Schon die Verwandlung der Kirchenfenster verspricht eine spannende Innen-Außen-Beziehung: Durch die obere Fensterreihe werden die Größen aus dem Rockolymp in den Raum hineinschauen. Moderne Ikonen, gar Heilige? Oder eben doch außen vor gehalten, weil sie zu wild, zu ekstatisch, zu politisch, zu psychedelisch, zu freizügig daherkommen für kirchliche Mentalitäten? Und die großen Fenster werden den Ausblick gewähren auf die Besucherinnen und Besucher des Festivals. Junge Menschen im Aufbruch und auf der Suche nach Glück, Erfüllung, Begegnung, Anderswerden, Rausch, Berührtsein. Ob sie mit ihren Erwartungen auch in der Kirche auf Resonanz gestoßen sind? Oder es heute erfahren könnten, dass sie mit dieser Suche bei uns am richtigen Ort sind?

Oft werden die religiösen Aufbrüche der 60er Jahre mit einer Abwendung vom Christentum gleichgesetzt: die Entdeckung fernöstlicher Meditationstechniken und Weisheiten, New Age und Bodywork, die Encounter-Gruppe oder die Hippie-Kommune als Ersatzgemeinde. Dabei hat diese Generation auch in den herkömmlichen Glaubensgemeinschaften und Gemeinden ihre Spuren der Veränderung hinterlassen. Frauenordination und Schwulensegnung, Sacro-Pop und Kommentargottesdienste, Meditationsangebote und Spirituelle Zentren – all das wäre ohne die Impulse der Woodstock-Generation kaum denkbar.  

Ungebundene Freiheit und konkrete Erfahrung, in diesen Werten spiegelt sich der Individualisierungsschub, der bis heute prägend ist. Und doch war es auch eine Suche nach neuer Vergemeinschaftung, nach Wahlfamilie, nach Brüder- und Schwesternschaft. Alles Herausforderungen an unsere heutige Kirchengestalt. Gerade an einem „Experimentierenden Kirchenort“ wie St. Egidien. Den Wunsch nach authentischer, individuell erfahrener und verantworteter Spiritualität ernst nehmen. Und zugleich in die Begegnung führen, die Anregung und Befruchtung und die ernste und tiefe Auseinandersetzung in selbstgewählter Gemeinschaft. Und dabei die künstlerisch-kulturellen Ausdrucksformen der Gegenwart nicht ignorieren.

Lasen wir uns also überraschen, welche Erfahrungen und welche Begegnungen die Zeitreise ins Jahr 1969 in St. Egidien freisetzen werden. Elliott Landy war bei der Vorbesichtigung sehr berührt von der Möglichkeit, in einem Kirchenraum auszustellen. Er ist sich der spirituellen Dimension der Umbrüche der Zeit wohl bewusst. Sein zum Jubiläum erschienener Bildband trägt auch den Titel „Woodstock Vision. The Spirit of a Generation“. Das Concertbüro Franken wird als Veranstalter und Kooperationspartner mit uns zusammen ausloten, wie Kirchenraum und Ausstellung, Spiritualität und kommerzielle Kultur ein befruchtendes Miteinander eingehen können. Danke für diesen Mut und dieses Wagnis.

Wir werden neben dem kulturellen Begleitprogramm, das hier in der Citykirche auf S. 42 und 43 zu finden ist, in einem Kulturgottesdienst am 7. September um 18 Uhr den spirituellen Aspekt dieser Zeitenwende noch einmal theologisch in den Blick nehmen.

Am 1. September laden wir am Festtag des heiligen Egidius zu einem Aufbruchs-Fest ein, das an die Kreativität und die Gemeinschaftsfreude von damals anknüpft. Denn Bethel, der Ort des Festivals, heißt ja übersetzt: Haus Gottes. Let’s go!

 

Buchtipps:

Elliott Landy: Woodstock Vision. The Spirit of a Generation. Zweitausendeins (2019), € 29,90

Don Lattin: following our bliss. How the Spiritual Ideals of the Sixties Shape Our Lives Today. HarperOne (2004), € 13

Text: Thomas Zeitler

Artikelfotos: Elliott Landy