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Fasten
Fasten: Inspirationen aus Asien
Kinder üben Verzichten und werden Nonnen auf Zeit (Myanmar)

Oft überholt die Nachahmung das Original. Wenn der „Osten“ versucht, den

„Westen“ zu kopieren, kommt es zu den wunderbarsten und komischsten Fusionen. So gibt es in Asien Konstruktionen von Europa, die in ihrer Mischung aus Sehnsucht und Ignoranz kaum zu überbieten sind.

Da werden Länder, Regionen, Stile und Traditionen wild gemischt und als authentisch Verkauft. Da gibt es in französischen Restaurants alles, außer irgendetwas Französischem, und „authentische“ T-Shirts mit unentzifferbaren Buchstabenkombinationen sind an jeder Ecke zu finden.

Es macht viel Spaß, in Asien europäische Kultur im 21. Jahrhundert durch die Brille des Fremden zu entdecken. Und wie könnte das auch schon gelingen, einen ganz fremden Kontinent, ja sogar ein Land, eine Region oder eine Religion, in Kürze komplett zu überblicken …?

Angefangen hat dieses Phänomen in größerem Stil und vermutlich andersherum im 19. Jahrhundert. Da entdeckte der Westen Asien. Religionswissenschaftler forschen hier seit Langem, und was wir längst vermutet haben, wird da wissenschaftlich immer wieder bestätigt: Die Spiritualität Asiens ist zu großen Teilen ein romantischer Mythos des Westens. Verstehen Sie mich nicht falsch: Asien ist ein Kontinent mit vielen wunderbaren und beeindruckenden spirituellen Traditionen – aber das gilt für jeden Kontinent, auf dem geistliche Wesen (also Menschen) wohnen.

Einen wunderbar lustigen Beleg für diese These finden wir, wenn wir heute nach „Fasten“ und „Asien“ googeln: Wir werden dann auf zehntausende Seiten geleitet, die eindeutig auf das westliche Publikum abzielen. Da werden thailändische Fastentraditionen beworben, balinesische Rezepte verkauft und dergleichen mehr, die vor Ort kaum jemand kennt.

Natürlich gibt es im Buddhismus Fastentage. Es gibt die große Tradition vegetarischer Ernährung. In vielen Klöstern gibt es in der Regel nur eine Mahlzeit am Tag (aber natürlich findet man die Mönche auch vor und manchmal hinter den Klostermauern bei Fleischspießchen und Bier). Die Monsunzeit „Vassa“ ist vielerorts Fasten und Rückzugszeit. Aber jetzt bin ich wieder beim Anfang und mache generalisierende Aussagen über eine riesige und unglaublich ausdifferenzierte Glaubenstradition oder über einen ganzen Kontinent.

Der Auftrag, ein paar Zeilen „Brückenschlag Fasten Ost–West“ zu schreiben, kam ohne mein Zutun zustande. Und meine erste Assoziation waren sich biegende Tafeln chinesischer Feste und die zentrale Rolle, die Essen (nicht Ernährung) in China spielt. Mindestens drei warme Mahlzeiten an 365 Tagen im Jahr müssen sein – das fiel mir sofort ein. Und natürlich die Tradition des Yin und Yang. Sie teilt die Lebensmittel in „heiß“ und „kalt“ ein und kennt Millionen von Regeln (regional ganz verschieden), um diese Lebensmittel gesundheitsfördernd zu kombinieren. Das Ganze wird dann nicht etwa religiös oder spirituell verstanden, sondern wissenschaftlich. Überhaupt brauchen religiöse Riten in Asien nicht die Zutat des Glaubens – sie funktionieren einfach.

Eine Gruppe, die das Klischee der spirituellen Bewohner des Kontinents der Mitte mit am wenigsten bedient, sind vielleicht die asiatischen Christen. Die leben sehr oft in den höchst westlichen Traditionen des 18./19. Jahrhunderts ihrer Missionare und amüsieren sich prächtig, wenn wir mit unseren Vorstellungen des spirituellen Ostens daherkommen.

Warum habe ich mich trotzdem über den Auftrag gefreut, über Abspecken Ost–West zu schreiben? Weil ich natürlich davon überzeugt bin, dass wir voneinander lernen können. Weil gerade in Asien immer das Gegenteil von dem, was man beobachtet, auch stimmt. Und weil der Blick auf andere Traditionen – mag er auch noch so oberflächlich sein – uns zu sehen hilft, dass wir Menschen alle geistliche Wesen sind und die Spiritualität zu uns gehört, so wie unsere Nase oder unsere Gefühle. 

Wenn ich auf zehn Jahre Leben in Asien unter dem Aspekt des Fastens oder Weglassens zurückblicke, dann kommen mir zauberhafte Bilder minimalistischer Ästhetik in den Sinn, die Hochachtung eines disziplinierten Lebensstils, das Gefühl für Schönheit – auch beim Essen – und Perfektion darin, Überflüssiges wegzulassen. Die Weisheit, dass weniger oft mehr ist, ist universal, aber gerade in den Ländern um das Reich der Mitte herum hat diese Weisheit atemberaubend schöne Konkretionen hervorgebracht.

Das kann uns sicher inspirieren, dass wir in diesen und in unseren Traditionen aufzufinden versuchen, dass Verzichten, Fasten, Abspecken, Loslassen usw. zum guten Leben gehören und uns helfen, dem Trend des „immer und immer mehr“ entgegenzusteuern. Im nächsten christlichen Buchladen und freundlichen Kloster um die Ecke gibt’s da sicher viel zu finden.

Und dann kann ich auch mit einem Augenzwinkern damit schließen, zu erwähnen, dass die materialistische Dummheit des „mehr und mehr“ gerade in Asien die größten Blüten treibt und die ganze Welt des Abspeckens und Fastens bedarf.

Text und Artikelfotos: Jan Martin Depner

Mönche in Laos beim Einsammeln der täglichen Opfergaben
Mönchsstatue aus Birma