Gesellschaft
Die Hiob-Erfahrung treibt Menschen zu allen Zeiten um.
Glauben ist kein simples Wohlfühlprogramm

Davon handelt eine der herausforderndsten Erzählungen der Bibel – beim zurückliegenden Kirchentag in Dortmund war sie einer der zentralen Texte für die täglichen Bibelarbeiten. Eine dieser Bibelarbeiten gestaltete auch eine Pfarrerin aus der Nürnberger Nachbarschaft: Stefanie Schardien von St. Michael in Fürth. Seit einigen Monaten erreicht sie als Mitglied im „Wort zum Sonntag“-Team auch eine große TV-Gemeinde.

Citykirche: Das Titelthema dieser Citykirche heißt ja „Loslassen“. Woran denken Sie spontan?

Stefanie Schardien: Da fallen mir durchaus ganz private Erfahrungen ein. Ich habe mich zum Beispiel ganz bewusst für die Arbeit in einer Gemeinde entschieden. Die liegt mir am Herzen – und ich predige auch gerne. Das bedeutete aber zugleich, dass ich mich von einer anderen, reizvollen Perspektive verabschieden musste – was mir auch nicht ganz leicht gefallen ist. Aber mit Grenzerfahrungen wie denen von Hiob hat das natürlich nichts gemein.

Hiob wird so übel mitgespielt, dass es einfach nur schrecklich ist. Beißen sich auch professionelle Theologinnen und Theologen die Zähne daran aus? Wie geht es Ihnen damit?

Hier geht es um eine Grundgeschichte, die zeigt: Glauben ist nicht „easy“ und schon gar kein simples Wohlfühl-Programm. Die Kernfragen der Hiobgeschichte treiben auch die Menschen von heute um. Natürlich geht es um die uralte Theodizee-Frage, also um das Ringen mit der Erfahrungen, wie Gott unendliches Leid zulassen oder womöglich wollen kann. Ist das die Kehrseite unserer Freiheit? Es gibt aber nicht den einen Schlüssel zur Erklärung dieser Geschichte. Klar ist für mich nur: Man kann das Leiden nicht „weg-erklären“ und allenfalls gemeinsam aushalten. Notfalls im Schweigen.

Beim Kirchentag war Ihnen der Text ja vorgegeben. Sie haben aber eine ungewöhnliche Form der Auslegung gewählt.

Ich habe sie mit einem Theatermann, dem Dramaturgen Felix Ritter, gestaltet und wollte auch die Teilnehmer stärker einbeziehen. Deshalb hatten wir auch keinen fertig vorbereiteten Text, der dann nur abgelesen worden wäre, sondern frei gesprochen. Und zum Beispiel die Frage gestellt, mit wem wir uns vielleicht am stärksten identifizieren – mit Hiob oder eher mit seiner Frau. Oder den Freunden. Ich finde, dass Hiob keineswegs nur naiv an Gott festhält, obwohl er mitten im Dreck sitzt. Dass er aber auch nicht so tut, als ginge es ihm gut. Das ist ein Muster, das mir immer wieder mal begegnet, vor allem bei Älteren: Sie klagen vielleicht über Gesundheits- und andere Probleme, um sich das im nächsten Augenblick zu versagen, weil es sich – wie sie meinen – nicht gehöre und weil sie glauben, das eben durchstehen zu müssen.

Haben Sie bei den Vorbereitungen oder am Kirchentag selbst etwas neu entdeckt an der Hiob-Geschichte?

Ich entdecke da jedesmal etwas Neues. Wir haben in einer Klagerunde gemeinsam „Drecksmomente“ gesammelt. Da kam einerseits viel Erwartbares zur Sprache, etwa von Hass und Armut in der Gesellschaft, aber auch sehr Konkretes, Berührendes. Jede und jeder hat überlegt, was ihn und sie eigentlich motiviert, an Gott festzuhalten – das mündete ganz spontan in ein Singen. Und ich habe stärker als bisher beides gespürt: dass das, was da geschieht, nicht rational erklärbar ist – und die Stimme von Hiobs Frau, die verzweifelt und vorwurfsvoll sagt: „Das bringt’s doch nicht! Was willst Du mit so einem Gott?“

Muss nicht auch unsere Kirche lernen loszulassen – zum Beispiel von der Vorstellung „Volkskirche“ zu sein?

Natürlich müssen wir uns mit den Entwicklungen gründlich auseinandersetzen. Aber in der täglichen, praktischen Gemeindearbeit spielen solche Prognosen, die gern als alarmierend wahrgenommen werden, keine so große Rolle. Ich versuche, für die Menschen da zu sein und das Beste zu geben, gleich ob bei freudigen oder traurigen Anlässen. Und da ist es gleichgültig, ob unsere Kirche größer oder kleiner ist.

Anders als in der Kirche bleibt die Bildschirmgemeinde für Sie ja anonym und schwer greifbar. Erleben nicht viele die Ausstrahlung am späten Samstagabend eher als lästige Unterbrechung der Unterhaltung?

Das mag der eine oder andere so empfinden. Ich bin aber insgesamt schon überrascht zu erfahren, wieviele Menschen, aus den unterschiedlichen Kreisen sich ansprechen lassen und die Impulse dankbar aufnehmen und sich damit auseinandersetzen. Das hatte ich in dieser Intensität nicht erwartet.

Interview + Artikelfoto: Wolfgang Heilig-Achneck