Titelthema
Glück – darum zu kämpfen lohnt sich!

Sie kennen schon viele meiner Geschichten vom Pech und vom Leid aus meiner Sprechstunde. Ungerecht ist wirklich einiges und ich beobachte, wie sich Menschen je länger sie im Hartz IV Bezug sind, verändern.

Mutloser sind einige geworden und müde, um das eigene Recht zu kämpfen. Deswegen strahlt gerade Camille (Name geändert) so heraus. Sie ist über sechzig Jahre alt, hat eine tolle Figur, die sie in engen Klamotten wirklich zeigen kann. Die blonden Strähnen ihrer Perücke umspielen ihr Gesicht, die Augen sind schwarz betont, die Fingernägel bunt und ihre Röcke meistens kurz. Sie ist eine Frau, nach der man sich den Kopf umdreht, und sie ist eine Kämpferin – behaupte ich. Sie sieht das nicht so, denn wenn sie vor mir sitzt, weint sie meistens, ist niedergeschlagen und kraftlos. Sie leidet sehr unter ihrer Wohnsituation und möchte am liebsten zurück in ihre Heimat, das Rheinland.

Das Schlimme ist, dass das Haus in dem sie jetzt wohnt, ein Kakerlakenparadies ist. Als neulich eine auf ihrem Bett spazierte, hat Camille zu schreien angefangen und kann seitdem kaum ein Auge zu machen. Es könnte ja wieder eine einfach so vorbei spazieren. Sie hat Angst vor all den Krankheiten, die diese Tiere übertragen können. Kein Brösel ist in ihrer Wohnung zu finden, damit kein Tier angelockt wird. Sie isst nur noch auf ihrem winzigen Balkon und putzt sofort alles weg. Ihr Anruf beim Vermieter war erfolglos. Ihn interessiere das Kakerlakenproblem nicht und wenn, dann müsse sie den Kammerjäger selbst bezahlen. Camille ist sehr freundlich, hat eine zarte Stimme, braucht Medikamente, damit ihre Psyche im Gleichgewicht bleibt und lässt sich leicht einschüchtern.

Sie hat ihm geglaubt und nichts ist passiert außer, dass ihre Angst gestiegen ist. Höchstens zwei Stunden Schlaf pro Nacht. Dann bekam sie den Tipp, zum Mieterbund zu gehen und sich beraten zu lassen. Das war sehr gut. Denn jetzt hat sie dem Vermieter handschriftlich über ihre Rechte und seine Pflichten in Kenntnis gesetzt. Das Blatt wendete sich. Ein Kammerjäger wurde bestellt.

Dann hat Camille alle Nachbarn im Haus informiert. Jeder hat von ihr eine eigenhändig geschriebene Karte bekommen, dass sie unbedingt dem Kammerjäger die Tür öffnen sollen und dass keiner befürchten muss, dass ihm der Kammerjäger in Rechnung gestellt wird. Denn das denken die meisten ihrer Nachbarn. Sie hat bei jedem persönlich vorgesprochen und gesagt, was kommt und was passiert. Leider haben nicht alle die Tür geöffnet und ihren Worten geglaubt! Denn sie sieht einfach nicht wie eine Kämpferin aus! Aber am Ende zählt das Ergebnis! Der Kammerjäger war jetzt schon vier mal da und Camille kann wieder besser schlafen. Als sie mir ihrer Geschichte erzählte, sagte ich ihr, dass sie für ihr Glück wirklich gekämpft hat und stolz sein darf. „Wirklich?“ fragt sie. „Wirklich!“ antworte ich. Als Belohnung für ihren „Kampf“ hat sie bald eine kakerlakenfreie Wohnung. Für sich selbst hat sie sich eine Flasche Valensina gegönnt, der war nämlich im Discounter im Angebot. Statt 1,66 Euro nur 99 Cent! Jeden Tag ein Glas, sagt sie und strahlt! Das ist pures Glück!