Gesellschaft
Der Wendepunkt zwischen globaler Resignation und innerem Aufbruch
Gute Nacht – schöne Welt?!

Säbelrasseln mit Atomraketen am einen Ende der Welt, ein wankelmütiger US-Präsident, humanitäre Katastrophen im Nahen Osten und in Afrika, Armutsmigration und Hiobsbotschaften vom und fürs Klima, nicht zu vergessen europäische Wunden wie der Abschied der Türkei von der Demokratie unter einem selbstherrlichen neuen Pascha oder die Ausbreitung rechtsextremer Gesinnung: Wie halten wir das eigentlich noch aus? Und wie haben wir dieses Jahr überstehen können?

Kein Wunder, wenn manch einem, der all das Revue passieren lässt, nur ein Stoßseufzer über die Lippen kommt: „Gute Nacht, schöne Welt“.
Schwingt da vielleicht noch ein Hauch sentimentaler Nostalgie mit, eine Sehnsucht nach der vermeintlich oder tatsächlich besseren Vergangenheit? Wer ein wenig zurückblättert, gerne auch ein paar hundert und tausend Jahre, merkt schnell:
So neu sind die Phänomene und auch deren Ballung keineswegs (auch wenn die Atom-
energie eine neue Dimension gebracht hat). Eine Art Endzeitstimmung hatte schon die frühen Christen in der Spätantike umgetrieben, nicht anders die Menschen in der Zeit Luthers vor 500 Jahren. „Verrückte“ Herrscher gehörten dazu, Plagen und besorgnis-
erregende Naturphänomene, nur, dass die damals noch nicht von Menschen (mit-)verursacht waren.
Manche Gläubige reagierten darauf mit Versuchen, der Welt zu entsagen und sich in Klöster zurückzuziehen oder als Eremiten zu leben. Oder gar die Welt abzuschreiben und sich an fromme Übungen zu klammern. Das ist, teils in anderem Gewand, heute nicht viel anders – vom weitverbreiteten und vielzitierten Rückzug auf das Ich bis hin zu esoterischen Aussteigermodellen.

Wie wollen wir es halten? Sind wir nicht auch zumindest skeptisch gegenüber allem, was nach voreiliger Hoffnung und falschem Trost „riecht“? Die Fragen danach, was von diesem Jahr bleibt und wie wir in das kommende gehen, stellen sich Christen und den Kirchen allerdings nicht erst, wenn die Weihnachtskerzen heruntergebrannt sind und – wenn es denn sein muss – die Silvesterknaller bereit liegen. Sondern schon jetzt, vier Wochen vorher. Denn nach alter Tradition ist uns schon jetzt ein Neuanfang verheißen: Mit der Zeit des Wartens und der „Ankunft“, sprich: dem Advent, also mit der Vorbereitung auf das schönste Fest, die Menschwerdung Gottes, beginnt auch das neue Kirchenjahr.

Es ist ein echtes Geschenk: Das Alte darf zurückbleiben und etwas Neues beginnen. Nach altem Brauch ist das eigentlich auch mit einer Runde Fasten verbunden, zumindest im Alltag der Woche, ausgenommen den Sonntagen im Advent mit Plätzchenpracht und und und. Weil das Beste und Schönste ja eben erst bevorsteht. Und es in aller Fülle nur zu begreifen ist, wenn nicht alles schon vorweggenommen ist. Mit der Vorfreude auf das Fest der Geburt Christi. Ganz gleich übrigens, ob die einen das als „reales“ Geschehen oder mehr als poetisches Symbol begreifen.
Beides soll und kann ja nicht all das übertünchen, was zur „Nacht der Welt“ gehört. Aber dieses Andere kann und soll den Blick schärfen. Es ist wie eine zweite Ebene. Die „Nacht der Welt“ ist nicht alles. Das schafft eine heilsame Distanz – und die ist immer schon Voraussetzung für Kritik. Was uns zu schaffen macht und die Welt verfinstert, erscheint nicht mehr als alleinige und letzte Instanz, sondern wird relativ. Nur so finden wir neue Ideen und den Elan, dem Sog von Klimawandel, Rassismus und Fanatismus etwas entgegenzusetzen. Und das wird 2018 sicher nicht weniger aktuell.

Text: Wolfgang Heilig-Achneck,
Foto: iStockphoto.com