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Keiner möchte in den Knast. Auch Heinrich Weniger nicht.
Gefängnispfarrer Frank Baumeister im Gespräch mit Heiner Weniger von der Citykirche

„Morgen gehe ich in Knast“ – das nächtliche Gelächter der Freunde noch im Ohr, vergeht mir morgens an der Pforte gleich der Spaß. Ich muss zurück zum Auto, meine Papiere holen, alle Metallgegenstände separieren, mich scannen lassen, den Besucherbogen ausfüllen und dann warten. Endlich kommt mein Gesprächspartner Frank Baumeister, Gefängnisseelsorger. Wir kennen uns vom Studium. Als er mit großen Schlüsseln eins ums andere Gittertor aufschließt, fühle ich mich langsam angekommen.

F.B.: Sorry, dass du so lange warten musstest, aber Peter (Name geändert) kam noch schnell zu mir, bevor er nach Bamberg zu seiner Verhandlung gebracht wird. Heute ist das Urteil. Er muss mit vier oder fünf Jahren rechnen. Bandendiebstahl. Da steht einer vor dir, gerade mal zwanzig Jahre. Und schaut dich mit großen Augen an. Ihr beide wisst, das geht jetzt seinen Gang. Unweigerlich. Ich schenke ihm eine Tasse Tee ein. Wir plaudern noch ein wenig. Als ich ihm den Segen Gottes für diesen Tag zuspreche – bloß nichts Frommes! – geht es mir nicht gut dabei. Aber etwas Besseres habe ich nicht.

H.W.: Wen betreust du alles?
F.B.: Es sind 1100 Inhaftierte, knapp die Hälfte davonin Untersuchungshaft, auch Jugendliche. Die sind alle noch nicht rechtskräftig verurteilt. Zur Zeit versuchen wir, mit Stellungnahmen ein erstes Mal in unserem Land ein Gesetz mit auf den Weg zu bringen, das die Freiheitsrechte während der U-Haft regelt: Wieviel Besuch, wieviel Kontakt per Brief oderTelefon nach draussen? Zensur? Neben der Seelsorge fühlen wir uns auch für solche strukturellen Verbesserungen zuständig.

H.W.: Angestellt bist du aber von der Gefängnisleitung.
F.B.: Sicher, aber in meinen seelsorgerlichen Entscheidungen bin ich frei. Mein Herz schlägt dort, wo Menschen in Not sind. Das kann auch mal einer der Bediensteten sein. Die haben auch keinen leichten Job!

Über den Gang kommt gerade der katholische Pastoralreferent. Es geht hier sehr kollegial und freundschaftlich zu. Beide teilen sich die Kirche, auch die weitere Kirche bzw. den Gottesdienstraum im Gelände. Auch mit den anderen Geistlichen anderer Länder.Leihen bei Bedarf auch mal den Koran an muslimische Häftlinge aus, stimmen Aktivitäten, Gruppengespräche, öffentliches Auftreten aufeinander ab. Eine geradezu vorbildliche Ökumene! In der Kirche – einem hellen hohen Raum setzen wir unser Gespräch fort:

H.W.: Sieht richtig gut aus – euere Kirche! Man merkt gar nicht, dass wir im Gefängnis sind!
F.B.: Und ob! Bei den Gottesdiensten ist sie proppenvoll. Nicht nur, weil das eine willkommene Abwechslung ist. Die Häftlinge gestalten selber mit, malen Bilder, lesen die biblischen Texte. Es gibt einen Chor, einen Mesnerdienst. Wir haben keine extra Kanzel. Die Predigt, kannst du dir vorstellen, fällt da sehr kommunikativ aus. Es wird auch gelacht und geklatscht. Nur die Gitter an den Fenstern zeigen, wo wir sind.

H.W.: Ist schon mal jemand abgehauen?
F.B.: Klar. Der Sicherheitsaspekt ist absolut vorrangig. Das ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen. Deshalb stößt du hier überall an Grenzen und auf Grenzbereiche. Und mitten drin die Kirche. Drogenprobleme, Suizidgefahr. Das Leben untereinander kann hier sehr brutal sein. Oder, es hält einer die Einsamkeit in der Zelle nicht aus. Sexualität: Ich habe meine Frau im ganzen Jahr zwölf Stunden gesehen. Familie: Was ist, wenn meine Kinder die Wahrheit erfahren, dass ich im Knast bin und nicht auf Montage? Gott: Ich habe wieder angefangen zu beten. Sehr existentielle Fragen werden hier auf einmal gestellt und diskutiert.

H.W.: Wie steht es mit der Freiheit eines Christenmenschen?
F.B.: Die gibt’s auch hinter Kerkermauern. Das weißt du doch aus der Bibel und der Kirchengeschichte. Es gibt sogar welche, die sagen, das echte Leben – und was „Frei sein“ wirklich heißt – hätten sie erst hier drinnen kennen gelernt. Sie hätten es nur früher gebraucht.

H.W.: Was können wir von draußen tun?
F.B.: Sehr sehr viel! Alle Kontakte nach draußen sind positiv! Bereichert unsere Gottesdienste mit euerer Musik, eueren Chören! Vielleicht ergeben sich Kontakte, wo jemand persönlich weiter helfen kann – auch wenn jede Sozialromantik fehl am Platz ist! Wir bitten um Geld- und Sachspenden. Und wir geben was dafür: Wir haben eine sehr gute und günstige KfZ-Werkstatt, Schreinerei, Schlosserei, Buchbinderei und vieles mehr, was wir von uns aus anbieten, zeigen draußen gern auch mal Bilder aus unserer Kunstwerkstatt. Oder so ein Interview in der CITYKIRCHE – vielen Dank fürs Gespräch und das Interesse!

H.W.: Lieber Frank, das wollt ich auch grad sagen …

Interview: Heiner Weniger
Bilder: Frenzi Boeser, TM Studios

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