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Kennen Sie Kintsugi?
Kennen Sie Kintsugi?

Die Bruchstellen werden mit einem besonderem Kitt und Lack geflickt.
Und dann wird Goldstaub auf diese Bruchstellen aufgetragen und anschließend alles poliert. Die vorher gebrochenen Stücke bilden so ein neues Ganzes, durchzogen wie von goldenen Fäden, es steht der Schönheit des Originals in nichts nach.
Gerade die Bruchstellen wirken so besonders kostbar, sie glänzen golden.
Vorher: wertlose Scherben –  und nun ein einzigartiges Stück.

Jede Kintsugi-Schale zeigt:
Ich bin gebrochen, ich lag in Scherben.
Ich habe vieles überstanden.
Es hat Mühe und Zeit gekostet, wieder ganz zu werden,
wieder neu gefüllt werden zu können.
Aber genau das macht mich einzigartig.

Unser Leben besteht aus solchen Bruchstücken.
Ich darf unvollkommen sein mit Schwächen und Grenzen.

Wie viel weniger Druck würde auf uns lasten, wenn wir diese Einsicht akzeptieren könnten und damit befreit wären vom Zwang zur Perfektion:
Auch das Fragmentarische ist wertvoll.

Wir sind ein „Fragment aus Vergangenheit und Zukunft“, so formulierte es der  evangelische Theologe Henning Luther, der selbst 43-jährig starb.
Hoffnungen zerbrechen, Lebenswünsche zerrinnen, Schuld drückt.
Doch im Schmerz angesichts des Fragmentarischen und der Verlustgeschichten des Lebens lebt immer auch eine Sehnsucht und Hoffnung, die über uns hinaus nach vorne weist.

Wer sich selbst als unvollkommenen und fragmentarischen Menschen annehmen lernt, spürt zudem, dass er bedürftig und auf andere angewiesen ist.
Er lernt dabei auch andere anzunehmen, die ebenfalls nicht vollkommen sind.
Mitten im Bruchstückhaften, „auf der Baustelle“ des eigenen Lebens lässt sich so etwas von einem Ganzen erahnen.
Jemand anderes fügt die Teile meines Lebens zusammen, und das daraus entstehende Neue ist mehr als die Summe von Bruchteilen.
Es ist mein einmaliges Leben.

Mit dem Glauben an Jesus Christus bricht nicht über Nacht eine heile Zeit an.
Mit dem Glauben ist nicht alles Schwere überwunden und nicht jede Krise geschafft.
Aber der Glaube kann uns bestärken, in unseren Wunden, in unseren Brüchen neu auf die Suche zu gehen – nach goldenen Spuren.

Text: Annette Lichtenfeld
Artikelfoto: istockphoto.com