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Krumme Dinger
Krumme Dinger

„Glatt müssen sie sein, von frischem Aussehen und regelmäßig geformt.“ Fast erinnert diese Vorgabe der Vereinten Nationen FFV-10 für Karotten an ein Casting für perfekte Haut.

In der EU sind für die Vermarktung von frischem Obst und Gemüse (mit wenigen Ausnahmen) staatliche Vermarktungsnormen einzuhalten. Man spricht von vermarktbarer Qualität, nicht von Essen oder Mitteln zum Leben. Weiterhin kann man auf den acht Seiten der Verordnung unter anderem lesen, dass der Inhalt eines Packstücks Karotten nur Möhren gleichen Ursprungs, gleicher Sorte, gleicher Qualität und gleicher Größe umfassen darf.

Zwar lassen diese Normen sogenannte „Schönheitsfehler“ durchaus zu, als vermarktbar gelten sie aber nur mit Preisnachlass. Die Folge solcher Verordnungen ist, dass Menschen irritiert sind, wenn sie „beinige“ Möhren sehen. Unsicher fragen manche, ob man solch ein Gemüse denn auch essen könne.

Industrie und Handel haben es geschafft, makelloses Gemüse als naturgegeben zu normieren. Ebenmäßiges passt besser in Kisten als Krummes. Nicht unwichtig, wenn man Platz sparen muss, da der Transport um die halbe Welt so teuer ist. Verkauft wird nicht Gemüse, sondern optimiertes Gemüse. „Iss schönes Gemüse, dann bist Du schön. Und nebenbei sparst du Zeit, weil das Schälen entfällt.“ Moderne Erntemaschinen sortieren krummes Gemüse schon direkt auf dem Acker aus.

Als Folge davon landen 30 bis 50 Prozent der Ernte üblicherweise auf dem Kompost. Das bedeutet: Man sät, jätet, wässert, jätet, hackt, erntet – und dann wirft man einen großen, essbaren Teil der Ernte weg. Oder lässt ihn gleich auf dem Acker liegen.

Ist das nicht das eigentlich krumme Ding?
Von den über 300 verschiedenen Sorten an Karotten weltweit werden heute nur noch die wenigen angebaut, die dahingehend gezüchtet wurden, möglichst gerade und formschön zu wachsen. Als noch fast jeder und jede irgendwo ein Stückchen Garten hatte, baute man einen Teil der Lebensmittel selber an. Nie wäre einem in den Sinn gekommen, „unvollkommen“ geformtes Gemüse wegzuwerfen. Es wanderte ganz selbstverständlich in den Kochtopf. Fatal ist, dass heute fast niemand mehr weiß, dass Gemüse eben unterschiedlich geformt sein kann und dass genau das normal ist. Jede weitere Generation, die keinen Bezug mehr hat zur natürlichen Vielfalt von Karottenformen, übernimmt fraglos die von Industrie und Handel gesetzten Normen.

Was also tun?
Zunächst einmal gilt es die Marketingmaschine und ihre Mechanismen kritisch zu hinterfragen. Denn wenn gerade mit optimierten Möhren Geld verdient wird, so sind es womöglich im nächsten Moment die Krummen. 

Mit Essen spielt man nicht!

Lebensmittel sollen für Menschen und nicht für Märkte produziert werden. Und alles, was essbar ist, ist gut und gleich viel wert. Der Anbau von Karotten und anderem Gemüse ist sehr arbeitsintensiv, überwiegend Handarbeit, und gehört anständig entlohnt.

Im Grunde ist diese „Aussortiererei“ ein industrielles Krebsgeschwür, es ist menschen- und schöpfungsfeindlich. So etwas braucht die Welt nicht.

 Die Welt braucht mehr Liebe für krummes Gemüse. Genau das findet man beim regionalen Bauern, im Hofladen, auf dem Markt oder in einer Solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Natürlich auch bei den Foodsavern und Lebensmittelrettern. Dann kommen wir vielleicht bald dahin, dass etwas erst gar nicht gerettet werden müsste, was von Natur aus gut ist.

Text: Claudia Dollinger, Biobäuerin
Artikelfoto: iStockphoto.com

Biomöhren aus der Kirche? – Solawi macht’s möglich!

Der Biobauernhof Dollinger ist zugleich die größte ‚Solidarische Landwirtschaft‘ der Region, kurz Solawi. Bei diesem Konzept geben sogenannte ‚Ernteteiler‘ dem Hof mit einem festen Monatsbeitrag finanzielle Planungssicherheit. Und alles, was wächst, wird solidarisch in der Gemeinschaft geteilt. Auch im Südturm von St. Egidien gibt es ein Verteildepot, wo jeden Mittwoch der Ernteanteil für ca. 30 Haushalte angeliefert wird, und dann können Gemüse, Eier, Käse und Getreide persönlich abgeholt werden.

Bei Interesse an einem vierwöchigen Schnupperabo treten Sie bitte mit den Depotbetreuerinnen in Kontakt:
st.egidien@solawi-dollinger.de
Weitere Infos unter: solawi-dollinger.de

Text: Thomas Zeitler