Gesellschaft
Licht und Schatten
Licht und Schatten

Frau Deraëd, seit über 60 Jahren ruft die Aktion „Brot für die Welt“ zum Spenden auf, um die Armut in der Welt zu bekämpfen. Dieser Kampf scheint aber fast aussichtslos zu sein.

Die Entwicklungszusammenarbeit wird sowohl überschätzt als auch unterschätzt. Manche Kritiker behaupten etwa, dass sie sinnlos sei, weil sie die Armut nicht abgeschafft hat. Doch sie überschätzen die Möglichkeiten der Entwicklungsarbeit und übersehen, dass die Mittel dafür gering sind. So gaben die Staaten der Welt im Jahr 2016 zwölfmal mehr für Militär und Rüstung aus als für Entwicklungszusammenarbeit.

 

Worin erkennen Sie trotzdem Erfolge?

Es gibt natürlich Erfolge im Kampf gegen die Armut: Nach den jüngsten verfügbaren Zahlen der Weltbank ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, das heißt weniger als 1,90 US-Dollar am Tag zur Verfügung haben, zwischen 1990 und 2015 von 1,85 Milliarden auf 702 Millionen gesunken. Während im Jahr 1990 noch 35 Prozent der Weltbevölkerung unter der genannten Armutsgrenze lebten, waren es im Jahr 2015 nur noch 9,6 %.

 

„Armut ist weiblich“ ist in Stellungnahmen von „Brot für die Welt“ zu lesen. Inwieweit können Sie das belegen?

Von den zwei Milliarden mangelernährten Menschen auf der Welt sind 1,4 Milliarden weiblich. Frauen verdienen weltweit mit der gleichen Arbeit meist deutlich weniger als Männer. Die Müttersterblichkeit ist unnötig hoch, Mädchen haben schlechtere Bildungschancen als Jungen und das Erbrecht benachteiligt Töchter und Ehefrauen nahezu überall. Außerdem leiden Frauen und Mädchen unter weit verbreiteter geschlechtsbasierter und sexualisierter Gewalt. „Brot für die Welt“ möchte all das ändern.

 

Die „Corona-Krise“ hat das Leben bei uns nachhaltig verändert. Welche Auswirkungen hat die „Covid-19-Pandemie“ auf die Projekte von „Brot für die Welt“?

Die Unterstützung für die Ärmsten der Armen auch im Gesundheitswesen zählt seit Langem zu den Schwerpunkten der Arbeit von „Brot für die Welt“. Jetzt ist sie besonders nötig. „Brot für die Welt“ ist mit seinen Partnern im Austausch über die sich ständig verändernde Lage. Es wurden sofort Projektmittel im sechsstelligen Bereich für Corona-Projekte freigegeben und neue Projekt-Anträge werden auf Hochtouren bearbeitet.

 

Ob auf dem Land oder in den großen Städten, die ärmsten Teile der Bevölkerung haben wenig oder keinen Zugang zu Ärzten und Krankenhäusern, zu sauberem Wasser, zu Toiletten, zu Seife, geschweige denn zu Desinfektionsmitteln. Die Menschen leben auf engstem Raum zusammen. Eine fatale Ausgangssituation für die Krise und ein idealer Nährboden für das Virus. Ausgangssperren führen dazu, dass viele Menschen nicht mehr arbeiten können und so das kleine Einkommen wegfällt.

 

Kennen Sie ein konkretes Beispiel?

Der Tschad liegt in Zentralafrika. Dort kümmert sich ein Arzt um etwa 20.000 Patienten. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es für 238 Patienten einen Arzt.

Wenn das Gesundheitssystem durch die Behandlung von Corona-Infektionen immer stärker belastet wird, können andere Krankheiten nicht mehr behandelt werden. Das haben auch die jüngsten Ebola-Ausbrüche gezeigt. In der Konsequenz werden also mehr Menschen auch an anderen Krankheiten sterben. Außerdem ist unklar, ob ein künftiger Corona-Impfstoff weltweit verfügbar sein wird, also auch in armen Ländern. In der Vergangenheit konnten sie sich neue Wirkstoffe oft nicht leisten.

 

Den zweiten Teil des Interviews veröffentlichen wir in der August-Ausgabe der Citykirche.

Interviewfragen: Paul Schremser
Artikelfoto: Brot für die Welt / Christof Krackhard
Porträtfoto oben: DWB