Innenstadt
Wenn wir uns etwas auf der Zunge zergehen lassen, was richtig gut schmeckt, steigt unser Wohlbefinden.
Macht Essen glücklich?

Wenn wir uns etwas auf der Zunge zergehen lassen, was richtig gut schmeckt, steigt unser Wohlbefinden.
Und bei Gerichten wie „HappyMac“ will schon der Name gute Laune machen. Ob das Versprechen eingelöst wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber klar ist: Beim Essen, so weiß und spürt eigentlich jeder, geht es fast nie „nur“ um die Aufnahme von Nahrung.
Das gilt für die, die Mahlzeiten zubereiten – sei es nach eingefahrenem Muster und in Eile oder „mit Liebe“, Sorgfalt und vielleicht sogar aufwendiger Vorbereitung.
Zugespitzt: Was gekocht und aufgetischt wird, ist auch eine Botschaft. Und dass dies ein weit mehrdimensionaleres Spiel ist als die blanke Aufnahme von Kalorien, gilt natürlich erst recht für uns alle kleine und große Nimmersatts, mit unseren Gewohnheiten und Vorlieben – und nicht selten der fatalen Neigung, uns mehr zu gönnen als uns gut tut. Der natürliche Appetit allein schafft es offenbar nicht zu steuern, was wir mal gedankenlos, mal lustvoll zu uns nehmen, wenn nicht sogar in uns hineinstopfen.

Dorothea Willberg kennt das ganze Spek-trum: Die freiberufliche und für die AOK tätige Ernährungsberaterin weiß, was bei uns schief läuft und will ihren Klienten natürlich vor allem helfen, gesünder zu leben. Ihre Beobachtungen und Erfahrungen bündelt das Magazin Citykirche in vier Punkten:

 

1. Warum

„Die entscheidende Frage lautet nicht: Was habe ich auf dem Teller? Sondern: Warum?“, ist Dorothea Willberg überzeugt. Der Zusammenhang mit Stimmungen, Bedürfnissen, Wünschen, kurz: der Psyche liegt auf der Hand. Langeweile, Frust, Ärger oder Stress sind die häufigsten Faktoren. Und das gilt erst recht bei Problemen und Zusammenhängen mit einer Krankheit. Über allgemeine und auch hinlänglich bekannte Empfehlungen hinaus („viel Obst und Gemüse“, „ballaststoffreiche Kost“) kann die Diplom-Ökotrophologin daher auch konkrete, individuelle Ernährungstherapien erarbeiten und vorschlagen.

 
2. Psyche

Lebensbedingungen und Alltagsumstände beeinflussen das Ernährungsverhalten ebenso wie die Psyche. Dem (häufig beklagten) „Zuviel“ auf dem Teller entspricht durchaus ein Zuviel unserer Aktivitäten und der empfundenen oder tatsächlichen Anforderungen. Das Tempo wird verschärft, jeder und jede muss in seiner Rolle funktionieren. Oft genug bestimmen das viel zitierte Multitasking und verschiedenste Formen von Stress unseren Alltag. „Es ist eben leichter, eine Tüte Gummibärchen zu leeren, als zum Chef zu gehen und ein klärendes Gespräch über Belastungen zu suchen.“ Erst mal ein Glas Wasser, eine Runde Yoga, Qigong oder eine Runde ums Haus können helfen, Spannungen abzubauen und damit auch den Heißhunger auf Pseudo-Befriedigungen. Für mehr als eine Unsitte hält sie es auch, im Laufen zu essen statt sich auf das Essen zu konzentrieren. „Kein Wunder, wenn da die Verdauung meckert.“

 
3. Kleine Schritte

Schon kleine Schritte helfen: Was nehme ich den lieben langen Tag zu mir? Wann und wie? Ein Ernährungsprotokoll ist meistens der Einstieg, wenn sich Menschen gründlicher beraten lassen wollen. Nur die wenigsten machen sich klar, dass zwei Latte macchiato einer kompletten Mahlzeit entsprechen. Und bei Hausbesuchen knöpft sich Dorothea Willberg mit ihren Klienten gerne den Inhalt der Kühlschränke vor: Was ist gesund? Was wird für die nächsten Mahlzeiten benötigt? Und welche Verführer sollten besser verbannt werden? Dem entspricht eine gute Portion Disziplin beim Einkaufen: In den Korb kommt nur, was vorher auf einer Liste notiert wurde – streng nach Bedarf und nicht nach Lust und Laune. Gegenüber der überquellenden Fülle an unterschiedlichsten Schlankheits- und Diätprogrammen zeigt sich Willberg zurückhaltend bis skeptisch: Viele davon sind auf befristete Zeit angelegt – danach droht rasch ein Rückfall in alte Gewohnheiten. Wichtig sei dagegen eine auf Dauer angelegte, nachhaltige Ernährungsumstellung. Doch damit allein ist es nicht getan: Ausreichend Bewegung und Sport sind unerlässlich – und eine Überwindung der psychischen „Treiber“ wie Frust oder Langeweile.

 

 

4. Prägung

Die einen schlingen scheinbar wahl- und gedankenlos in sich hinein, was schnelle Befriedigung verspricht. Am anderen Ende der Skala stehen all jene, die sich akribisch und bis ins letzte Detail mit Wirkungen und Zusatzstoffen auseinandersetzen – und die in der Ablehnung womöglich mit missionarischem Eifer unterwegs sind. Den einen kann es nicht fein genug sein, den anderen ist fast buchstäblich „alles wurst“, die anderen kämpfen nicht selten mit einer Portion Verbissenheit um eine gesündere Lebensweise – auch das ein Ausdruck der womöglich zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Willberg hält dagegen an bodenständigen Positionen fest und meint: richtig essen kann man lernen. Das Problem: Unsere Ernährungsgewohnheiten werden schon früh beeinflusst und geprägt. Wenn ein Kind weint, versuchen viele Eltern, es mit etwas zu essen oder zu trinken zu beruhigen. Essen ist als Trost verfügbar und billig – und verschafft ein besseres Gefühl oder auch nur eine Ersatzbefriedigung.

 
Text & Bild: Wolfgang Heilig-Achneck
Illustrationen: iStockphoto.com