Innenstadt
Mich hat dieser Brief erreicht
Mich hat dieser Brief erreicht

Mich hat dieser Brief erreicht. Und mit erreicht meine ich nicht nur, dass er in meinem Büro und auf meinem Schreibtisch angekommen ist. Mit erreicht meine ich, dass er meine Gedanken und meine Gefühle erreicht hat. Auslöser für den Brief war, dass ich als Zeugin in einem Prozess ausgesagt habe und dies für einige Menschen Anlass war, mir erneut deutlich, klar und unmissverständlich ihre Meinung mitzuteilen.

Bin ich ein Dreckschwein? Muss ich erhängt werden? Oder gar erschossen, weil ich zu einem Friedensgebet eingeladen habe und eine andere Meinung vertrete? Ich nehme an, dass Sie als Leserin und Leser unisono sagen „Nein“ (oder vielleicht doch nicht alle?) und dann werden Sie ungefähr so fortfahren: „Das sind Verrückte, machen Sie sich über solche Menschen keine Gedanken. Meditieren Sie das nicht, lassen Sie es los! Zeigen Sie den Schreiber an und die Mails der anderen löschen Sie“. Damit wäre die Sache erledigt.

Wirklich?

Gut zwei Wochen, nachdem ich diesen Brief erhalten habe, erfahre ich über Facebook, dass der Absender (ich vermute es, weil die Schrift täuschend ähnlich ist) auch dem Oberbürgermeister in Leipzig geschrieben hat. Der Inhalt ist fast authentisch. Da merke ich, wie der Zorn so langsam in mir hochsteigt und ich wütend werde.

Ja, ich habe mich entschieden loszulassen. Denn Loslassen ist befreiend.

Loslassen will ich das Gefühl, ein Opfer zu sein, hilflos und klein. Angst zu haben, wenn eine Nachricht mit unbekanntem Absender im Maileingang erscheint. Loslassen will ich genau das, was mit diesen Nachrichten erreicht werden soll: zu schweigen.

Loslassen will ich auch das Gefühl, allein zu sein. Denn ich bin es nicht. Es gibt Menschen, Worte und eine Gemeinde, die mich im guten Sinne festhalten und die ich festhalten will. Ich glaube nicht, dass man alles loslassen kann und überhaupt soll. Im Gegenteil, es bleibt immer etwas, das man festhält und dafür setzt man sich mit Haut und Haaren ein. Man kämpft. Aus der Liste von dem, was ich gerne festhalten will, ragt gerade folgendes besonders hervor:

Es gibt einen Schöpfer, der uns Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Das fordert von uns im Umgang miteinander, dieses Ebenbild in den eigenen Taten und Worten zu achten und zu respektieren. Es fordert, dass wir gegen Unrecht die Stimme erheben. Ich glaube fest daran, dass das die Aufgabe von uns Christen ist und wir können darin zum Vorbild für viele werden.

Text & Fotos: Simone Hahn