Themengeschichte
Mit dem Bus in die Ewigkeit
Mit dem Bus in die Ewigkeit

Wenn Sie wissen wollen, wie die Zukunft aussieht – das Leben nach dem Tod meine ich – dann lesen Sie „Die große Scheidung“ von C. S. Lewis. Danach wissen Sie genau, wie’s wird.

Natürlich stimmt das nicht. Und das Buch war auch nie so gedacht. Im Gegenteil, der Autor macht auch innerhalb der Handlung am Ende selbst klar, dass das Ganze ein Traum ist, dass es „so“ ganz gewiss nicht sein wird. Aber dieser Ausflug in die Welt nach dem Tod ist ein zauberhafter wie zeitloser Versuch, uns neugierig zu machen und uns zu zeigen, wovon der Autor überzeugt ist, nämlich wie unser Hier und Heute und die Zukunft längst ineinanderfließen. C. S. Lewis – so der Klappentext einer deutschen Ausgabe – lässt hier keltische Fantasie und anglikanische Theologie zusammenfließen und heraus kommt ein heiterer Traum, den ich persönlich etwa alle zehn Jahre wieder mit Genuss lese. Denn das inzwischen klassische Buch inspiriert immer wieder neu zum Nachdenken über die Zukunft.

Die Erzählung spielt zum größten Teil in einem Vorhof des Himmels. In einem Land des ewigen Frühlings, von dem aus man in den Himmel hineinwandern kann – das ist allerdings gar nicht so leicht. Das Gras hier ist von diamantener Härte und verletzt die Füße, oder ein vom Baum fallender Apfel könnte die Wandernden durchaus erschlagen. In dieses Land kommt man mit dem Bus. Einem ausgesprochen schicken Bus, den auch der Erzähler mit zwei Handvoll weiteren Passagieren jetzt zum ersten Mal genommen hat. Die Abfahrtshaltestelle liegt in einer grauen Stadt, in der permanente Abenddämmerung dafür sorgt, dass die ohnehin leeren Straßen noch trister und unfreundlicher wirken. Die meisten Häuser stehen leer, weil sich deren ursprüngliche Bewohner mit den Nachbarn gestritten haben und weitergezogen sind. Später erfahren wir, dass diese nahezu unendlich große Stadt die Hölle ist, in der die Verstorbenen von der Erde zunächst einmal landen. Von ihr aus gibt es dann überall Bushaltestellen, aber wer die nicht nutzt, für den wird die graue Stadt die Hölle bleiben. Den Bus kann übrigens jede und jeder nehmen, aber verblüffenderweise tun das gar nicht so viele, bzw. fahren sie  nach ein paar Stunden am Rande des Himmels wieder zurück, und noch weniger kommen dann ein zweites oder drittes Mal in den Bereich des ewigen Frühlings.

Nach der langen Fahrt (oder dem Flug, denn der Bus fährt lange Zeit durch die Wolken) kann der Erzähler endlich aussteigen und erlebt sich in einer ganz anderen Welt. Alles ist da so hell, so strahlend, so real, dass die Menschen wie Schatten erscheinen. Durchscheinende Geister, denen die Gräser die Haut verwunden. Bald treffen die Fahrgäste unseres Busses auf verklärte Wesen, von denen sie eingeladen werden, mit ihnen weiter in den Himmel zu gehen. Also quasi hinein in das Land, dessen wunderbare Berge man in der Ferne sieht. Berge mit strahlenden Städten und atemberaubend schöner Natur.

 

Der Erzähler bemerkt, dass die himmlisch realen Wesen, auf die die Mitfahrer*innen treffen, alle jeweils alte Bekannte zu sein scheinen, die, früher verstorben, jetzt strahlend und zeitlos schön durch das für sie sanfte Gras gleiten. Aus gewisser Distanz wird der Erzähler dann Zeuge vieler einzelner Gespräche. Bald ist klar: Wer die Einladung annimmt, wird selbst verklärt werden und einen festen Körper bekommen. Und die Einladung ist ganz bedingungslos, nur: Viele nehmen sie nicht an. Da ist der selbstgerechte Verbitterte, der keine Almosen annehmen will. Da ist der Theologe, der so in seinem Denken gefangen ist, dass es für ihn nicht infrage kommt, die Realität einfach unhinterfragt anzunehmen. Eine Frau ist so von der Scham besessen, so ungeschützt als Schattenwesen gesehen zu werden, dass sie unbedingt wieder in die graue Stadt zurückwill. Und (ganz aktuell) ist da auch der Verschwörungstheoretiker, der zu wissen glaubt, was hinter allen Dingen steht und dass alles, was die Menschen auf der Erde und jetzt im „Danach“ erleben, ein großer Betrug sei, auf den „wissende“ Menschen wie er nicht hereinfallen. Und so weiter und so weiter.

Im Jahr 1945 erschienen, beschreibt das Buch satirisch und treffsicher menschliche Dummheit, Naivität und Eigensinn vor dem Hintergrund absoluter Wirklichkeit, die strahlend und vielversprechend eine wunderbare Zukunft verheißt. Eine Zukunft, die nur denen offen steht, die sich dafür entscheiden.

Der Erzähler trifft im Traum schließlich selbst auf einen der verklärten Himmelsbewohner – einen von ihm verehrten Theologen – und der erklärt ihm dann viele der Zusammenhänge, die der Erzähler bisher nur beobachtet hat. Zum Beispiel, dass wir Menschen für ewige Freude und Genuss geschaffen sind oder dass Gottes Liebe wirklich bedingungslos ist. Und dass die graue Stadt nur für die zur Hölle wird, die sich bewusst dafür entscheiden, weiter in ihr zu leben. 

Wunderbar neuplatonisch reflektieren hier ein (noch) Schattenwesen und ein (schon) realer Geist darüber, wie die Zukunft rückwirkend ins Leben ragt. Wie die Entscheidung für den Himmel vergangene Härten auflöst oder wie die Entscheidung gegen die Realität des Himmels früher erlebten Freuden einen bitteren Nachgeschmack verleiht. 

Zum Schluss wird es nur noch zwei Arten von Menschen geben, sagt das Gegenüber unseres Erzählers: Die, die zu Gott sagen: „Dein Wille geschehe!“ und die, zu denen Gott sagt: „Dein Wille geschehe!“

So, wie von C. S. Lewis beschrieben, wird die Zukunft ganz gewiss nicht sein. In seinem Traum von der Busfahrt an den Rand des Himmels funkelt viel Hoffnung zwischen den Zeilen. Wenn etwa bei einer grummeligen und schimpfenden Frau auch nur ein wenig Hoffnung und Menschlichkeit übrig geblieben sind, dann wird sie die Einladung in den Himmel irgendwann annehmen, heißt es an einer Stelle. Und dass man jederzeit aus der grauen Stadt in den Himmel fahren kann, macht die manchmal vernichtende Kritik an menschlicher Selbstbezogenheit immerhin etwas erträglicher. Denn es gibt den Weg aus der Dämmerwelt heraus. 

Und nach vielen Begegnungen mit Wasserfallgeistern, Diamantflüssen, balgenden Löwen und mächtigen Einhörnern endet das Buch dann nochmals mit der Klarstellung, dass die ganze Sache ein Traum ist: Hier ist keine Vision geschildert, die der Autor von Gott bekommen zu haben glaubt. Der Autor hat mit diesem kleinen Buch gespielt, übertrieben, überzeichnet und geirrt. Aber durch diese Schilderung des nie Gesehenen werden für die Leser*innen Wahrheiten des Glaubens und der Philosophie wunderbar deutlich und tröstlich real. Die Zukunft hat hier schon begonnen. Wir können es jetzt schon einüben, unsere Selbstbezogenheit zu überwinden, uns durch unsere Überzeugungen nicht verblenden zu lassen und außerdem einüben, der Realität (Gottes) zu vertrauen.

Text: Jan Martin Depner
Artikelfoto: iStockphoto.com