Interview
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Muss Kirche abspecken?

Jeder weiß es, in vielen Gemeinden ist große Besorgnis zu spüren, die breite Öffentlichkeit dagegen verfolgt die Entwicklung eher achselzuckend: Die großen Kirchen schrumpfen, müssen kürzertreten und sparen. Ein schier übermächtiger Prozess, eine Zwangsdiät, der die Betroffenen ziemlich hilflos ausgesetzt sind? Oder gibt es so etwas wie ein „Gesundschrumpfen“? Fragen an Nürnbergs Stadtdekan Jürgen Körnlein.

Citykirche: Abspecken und fasten – die einen müssen es hinnehmen wie bittere Arznei und durchstehen wie eine schmerzliche Therapie. Die anderen entscheiden sich aus freien Stücken dafür und aus Überzeugung, dass es ihnen guttut. Wie verhält sich das bei der Kirche?

Jürgen Körnlein: Natürlich ist uns beides nicht fremd. Schließlich sind das Nachdenken und die Debatten über Kürzungen nicht neu, sondern begleiten uns schon seit vielen Jahren. Mal sind sie unumgänglich, mal geht es um die Abwägung, an einer Stelle kürzerzutreten, um anderes zu bewahren oder auch neue Akzente zu setzen.

Nochmal zugespitzt gefragt: Wenn Fasten heilsam ist, würde nicht auch der Kirche ein Wandel hin zu einer kleineren Gemeinschaft guttun, in der sich Gläubige aus voller Überzeugung verbunden wissen und nicht bloß oberflächlich als Kirchensteuerzahler?

Die Devise „smart is beautiful“ klingt gut, aber die Erfahrungen, vor allem der Kirche in den neuen Bundesländern, sprechen doch eher dagegen. Mit der Zahl der Mitglieder schrumpfte dort auch der Kreis der Hochengagierten und eng Verbundenen. Das führt nicht weiter. Und nach unserem Selbstverständnis wollen wir ja Kirche für die und mit den Menschen in Nürnberg sein – da brauchen wir unbedingt eine entsprechende Vielfalt.

Aber geht die nicht gerade verloren? Die evangelische wie die katholische Kirche verzeichnen doch weiterhin bedauerliche Austritte, wenn auch zuletzt nicht mehr so dramatisch wie vor zwei Jahren. 

Klar, jeder, der geht, schmälert jeweils ein winziges Stückchen unserer Möglichkeiten, unserem Auftrag gerecht zu werden. In den zurückliegenden zehn Jahren haben wir knapp jedes siebte Gemeindemitglied verloren. Aber mit aktuell rund 140.000 evangelischen Christen in Nürnberg sehe ich doch noch eine große Breite gesichert. Je kleiner eine Gemeinschaft ist, desto schwerer ist es auszuhalten, dass dem einen drei oder vier bestimmte Punkte am Herzen liegen, dem nächsten aber drei oder vier andere Themen. Und wir sind nicht nur für die da, die häufig kommen, sondern auch für die, die sich selten an Kirche beteiligen.

Sind Schwerpunktsetzungen und damit eine Profilbildung dann überhaupt noch möglich?

Durchaus, aber nicht einfach. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich in meiner Zeit im Amt für Gemeindedienst. Damals gab es konkrete Vorschläge für eine Schließung oder jedenfalls drastische Einschnitte. Den einen schien die Kindergottesdienstarbeit entbehrlich, andere hätten zuerst die Camping-Seelsorge aufgegeben, wieder andere die Offene Behindertenarbeit. Aber unsere evangelische Landeskirche lebt von der Vielfalt. Schon bei den Gottesdiensten – das Spektrum reicht von traditionellen Formen bis zu experimentellen Formaten wie im vergangenen Jahr etwa mit einer Osternacht in St. Egidien mit DJs oder den neuen PopUp-Gottesdiensten in St. Jakob.

Dabei müssen doch die Gemeinden und das Dekanat schon jetzt schmerzliche Rückgänge bei den Einnahmen verkraften.

Das ist leider wahr. Dennoch ist es bisher gelungen, das Verhältnis von Gemeindegliedern pro Pfarrerin oder Pfarrer stabil zu halten. Das größte Problem ist der Immobilienbestand. Wir haben so viele Kirchengebäude wie zu der Zeit, als wir doppelt so viele Gemeindeglieder waren. Da Kirchen aufzugeben nur in ganz begrenzten Ausnahmefällen infrage kommt, müssen wir uns vor allem bei den anderen Immobilien von weiteren Objekten trennen. Von ca. 280 Gebäuden haben wir schon auf ca. 250 reduziert; das war u. a. in Gemeinden möglich, die statt mit zwei Gemeindehäusern jetzt nur noch mit einem weitermachen.

Wo sehen Sie noch Spielräume für Neues?

Allein im zurückliegenden Jahr ist es zum Beispiel gelungen, die neue „Servicestelle Segen“ einzurichten. Und der „Tohuwabohu“-Gottesdienst in  St. Jakob kommt, auch dank der Unterstützung durch Partner wie dem CVJM, gut an. Parallel dazu hat das Kooperationen gefördert und beflügelt. Und mittelfristig ist klar, dass die Kirche nicht einfach zuschaut, wenn mit Lichtenreuth ein neuer Stadtteil entsteht. Früher wäre dort vielleicht eine komplette Kirche errichtet worden, das geht heute nicht mehr. Aber Kirche muss dort präsent sein – mit der Studierendenseelsorge sowieso, aber auch darüber hinaus.  

Die Landeskirche verspricht sich ja viel von dem Programm „Profil und Konzentration“. Aber das kann sicher nicht verhindern, dass da und dort Stellen gestrichen werden …

Leider nicht. Aber der Ansatz ist wichtig: Gemeinden sollen und müssen verstärkt in nachbarschaftlicher Verbundenheit ihre eigenen Stärken auch für die anderen fruchtbar machen und können den Prozess dadurch entscheidend mitgestalten – um eben zu verhindern, dass alles von oben nach unten durchgedrückt wird. Außerdem stehen in einem „MUT-Programm“ Extramittel für innovative Vorhaben zur Verfügung.

Interview: Wolfgang Heilig-Achneck
Artikelfoto: iStockphoto.com