Innenstadt
Neue geistliche Blüte:
Neue geistliche Blüte

Sie stammt aus der einstigen Bundeshauptstadt am Rhein, ihre Laufbahn führte sie quer durchs Land. Als sie sich dann einst in Nürnberg bewarb, habe sie von dieser Stadt keine rechte Vorstellung gehabt, gesteht sie im Nachhinein. Und dann ist Henrike Wahl hier länger geblieben als irgendwo sonst in ihrem bisherigen Leben – und hätte wohl um ein Haar Wurzeln für immer geschlagen: Als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie hat sie sich über viele Jahre hinweg in der Cnopfschen Kinderklinik vor allem um kleine Patienten mit schweren Krebserkrankungen gekümmert. Eine geistliche Heimat hatte sie bald schon in St.Lorenz – erst vor allem musikalisch im Bachchor, dann auch durch engagierte Mitarbeit im Kirchenvorstand.

Die Beschäftigung mit Kirche und Glauben, Theologie und einer geistlichen Praxis ist für sie weit mehr als die schönste Nebensache der Welt. So verknüpften sich für sie Suche und Sehnsucht zu einem spannenden Weg – der sie nun doch noch einmal wegführt von Nürnberg. Denn in Niedersachsen bot sich der 47-jährigen Medizinerin die Chance zu einem ungewöhnlichen Aufbruch: In Barsinghausen südlich von Hannover wurde ihr das Amt der Äbtissin des evangelischen Klosters Barsinghausen anvertraut.

Neugierig und mit dem Klosterleben vertraut gemacht hatte sie zuvor eine neunmonatige Auszeit im ebenfalls niedersächsischen Wülfinghausen. Freilich geht es um eine zeitgemäße Form von Kommunität – und das in einer evangelischen Tradition. Die Besonderheit: In Niedersachsen wird eine ganze Reihe von im Mittelalter gegründeten Klöstern von der sogenannten „Klosterkammer“ verwaltet. Unter ihrem Dach ist einst kirchliches Vermögen in Form von öffentlich-rechtlichen Stiftungen zusammengefasst. Dazu gehören rund 800 Gebäude mit etwa 12.000 Kunstwerken; aus den Erträgen werden neben dem Unterhalt auch Bildung und Kultur gefördert. 

1193 erstmals erwähnt, war Barsinghausen ursprünglich ein Doppelkloster für Mönche und Nonnen, schon 1229 aber nur noch für Augustinernonnen. Nach der Reformation entwickelte es sich zum adligen Damenstift. Henrike Wahl soll nun vor allem das geistliche Leben am Ort und in dem auch als Pfarrkirche genutzten Gotteshaus (mit-)gestalten und Nachwuchs für den Konvent gewinnen. Sie kann und soll aber in der Seelsorge für Kinder, Jugendliche und Erwachsene auch an ihre bisherige Tätigkeit anknüpfen. Denn trotz der klaren Prägung mit festen Gebetszeiten und einem klösterlichen Rhythmus soll ihr Haus doch auch Gästen offenstehen, die zum Beispiel für begrenzte Zeit mitleben wollen. Dazu kommen Führungen durch Kloster und Garten und viel Musik. 

Text: Wolfgang Heilig-Achneck
Artikelfoto: Jan Martin Depner