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Nürnberger jüdische Geschichte(n)
Nürnberger jüdische Geschichte(n)
Seite aus dem Nürnberger Machsor
„Judenstain“ in der Synagoge in der Arno-Hamburger-Straße
Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz (1874–1938)
Weltberühmtes Metallspielzeug der Gebrüder Bing – wie beispielsweise hier die Bing-Bahn.

Auf einzigartige Weise verdichtet sich die wechselvolle Geschichte Nürnberger Jüdinnen und Juden in einem Stein, der mit zwei Gedenktafeln heute in der Südwand der Synagoge in der Arno-Hamburger-Straße eingemauert ist. 

Er stammt aus dem 15. Jahrhundert, und man kann gut die gotischen Verzierungen entdecken, die damals überall zur Architektur gehörten. Die hebräische Schrift auf dem dunkelblauen Hintergrund – keter tora (Krone der Tora) – zeigt, dass der Stein ursprünglich aus der Synagoge stammte. 

Einst bildete er den Aufsatz für den Schrein, in dem die Torarollen aufbewahrt wurden. Nach der Vertreibung im Jahr 1499 wurde der Stein zweckentfremdet und man mauerte ihn als sichtbares Zeichen für dieses Ereignis später in ein Nachbarhaus ein. 1909 erwarb die Kultusgemeinde den „Judenstain“ und brachte ihn über einer Gedenktafel in der Hauptsynagoge an. 

Nach dem Abbruch der Synagoge im August 1938 im Keller des Polizeipräsidiums eingelagert, überdauerte er den Zweiten Weltkrieg und fand 1983 wieder einen angemessenen Platz in der neuen Synagoge des jüdischen Gemeindezentrums.

Die jüdische Geschichte Nürnbergs geht bis in das 12. Jahrhundert zurück. Im Mittelalter gehörte die jüdische Gemeinde zeitweise zu den  größten und bedeutendsten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen. In der Reichsstadt an der Pegnitz entfaltete sich eine blühende jüdische Kultur und Gelehrsamkeit. Juden und Christen lebten Haus an Haus, man begegnete sich, spielte Karten oder machte Geschäfte miteinander. Zugleich sah sich die jüdische Minderheit immer wieder abgrundtiefem Hass und brutaler Gewalt ausgesetzt. 

Rund 1.200 Männer, Frauen und Kinder hat ein Mob christlich getaufter Menschen in den beiden furchtbaren Verfolgungswellen von 1298 und 1349 ermordet. Ihr Schicksal und das der Menschen aus den anderen jüdischen Gemeinschaften des Mittelalters hält ein ganz besonderes Buch für das Totengedenken fest, das „Nürnberger Memorbuch“. Es ist eine einzigartige Quelle für die Martyrien jüdischer Menschen, aber auch für jüdisches Leben im mittelalterlichen „Deutschland“.

Den Namen der Stadt tragen auch kostbare Handschriften von einzigartigem kulturellem und religiösem Wert: Unter ihnen ragt der der „Nürnberger Machsor“ heraus, ein kostbar ausgestattetes und reich verziertes mittelalterliches Buch aus dem 14. Jahrhundert. Darin sind zahlreiche Gebete, liturgische Dichtungen, Festrollen und Prophetenlesungen für das ganze jüdische Jahr gesammelt. Als Meisterwerk des mitteleuropäischen Judentums ist der Machsor heute im „Schrein des Buches“ des Israelmuseums in Jerusalem ausgestellt.

Im späten 15. Jahrhundert war die jüdische Minderheit wie in vielen anderen Orten und Regionen auch den politisch Verantwortlichen in Nürnberg lästig geworden. 1498 erhielt der Rat der Stadt schließlich vom Kaiser die Erlaubnis, die Juden auszuweisen. Im Februar und März 1499 mussten sie dann die Stadt verlassen. Erst seit 1850 durften sich Juden wieder dauerhaft in Nürnberg niederlassen. 

Die jüdische Gemeinde wuchs schnell und weihte 1874 eine prächtige Synagoge am Hans-Sachs-Platz ein. 1902 folgte das Bethaus des orthodoxen Vereins Adas Israel in der Essenweinstraße. Mit ihrer hoch aufragenden Kuppel prägte die Hauptsynagoge ebenso wie  die Burg oder die Innenstadtkirchen das Bild der Nürnberger Altstadt mit, bis Julius Streicher im August 1938 ihren Abbruch verfügte.

 

So sichtbar wie die Hauptsynagoge, so entscheidend war auch der Beitrag, den Juden in allen Bereichen zur Modernisierung Nürnbergs leisteten. Die Gebrüder Adolf (1842–1915) und Ignaz Bing (1840–1918) bauten im späten 19. Jahrhundert eine Fabrik auf, die weltberühmt für ihr Metallspielzeug war und die Nürnbergs Ruf als Spielzeugstadt unterstrichen. Heinrich Berolzheimer (1836–1906) brachte die von seinem Vater mit einem Geschäftspartner gegründete Bleistiftfabrik zur Blüte und stiftete einen großen Teil seines Vermögens für wohltätige Zwecke. Dafür ist er bis heute der einzige Mensch, den sowohl Fürth als auch Nürnberg mit der Ehrenbürgerwürde ehrten. 

Die Freundinnen und Nachbarinnen Elise Hopf (1865–1936) und Else Dormitzer (1877–1958) zählten zu den bedeutendsten frühen Frauenrechtlerinnen Bayerns. Elise Hopf gründete unter anderem die Nürnberger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins mit und leitete später den Paritätischen Wohlfahrtsverband, Else Dormitzer arbeitete als Schriftstellerin und Journalistin. Sie war nicht nur Mitglied in der Gemeindevertretung der Nürnberger Kultusgemeinde, sondern auch die erste Frau im „Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. 

Die Papiertaschentücher haben die Brüder Oskar und Emil Rosenfelder erfunden und 1929 unter der Marke „Tempo“ patentieren lassen. Aus ihren „Vereinigten Papierwerken Nürnberg“ stammt mit der „Camelia“-Damenbinde ein weiteres Produkt, dessen Markenname ähnlich wie „Tempo“ lange Zeit als Inbegriff für Hygienebinden galt. 

Die Brüder mussten 1933 vor der nationalsozialistischen Herrschaft nach England fliehen. Umgehend erzwangen die neuen Machthaber den Verkauf ihrer Firma, von der besonders der Quellegründer Gustav Schickedanz profitierte. 2010 drohte der 1923 erbauten stattlichen Villa der Brüder Rosenfelder der Abriss zugunsten neuer Luxuswohnungen. Doch engagierte Bürgerinnen und Bürger retteten das Anwesen in der Virchowstraße nördlich des Stadtparks. Es wurde unter Denkmalschutz gestellt und in den folgenden Jahren saniert.

 

Nach der Schoah bildete sich wieder eine jüdische Gemeinde. Sie zählt heute rund 2.200 Mitglieder, von denen die meisten aus den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion eingewandert sind. Es gibt zwei Synagogen, ein Seniorenheim, den Sportverein „TSV Maccabi Nürnberg e.V.“, Gemeinde- und Jugendgruppen, einen Chor und vieles mehr. Jüdinnen und Juden gestalten das öffentliche Leben in der Stadt in Vereinen, im Stadtrat oder in anderen Bereichen aktiv mit.

 

Text: Axel Töllner
Artikelfotos: André Freud und Wikipedia