Musik
Die ION erfindet sich neu
Rückblick und Ausblick: Die ION erfindet sich neu

Ein Jammer, dass alle Abende ohne Publikum und ohne die so wichtigen persönlichen Begegnungen über die Bühne gehen mussten. Nur zum Ausklang trat die Acapella-Formation Slixs gleich dreimal vor leibhaftigen Zuhörern auf – die Freuden- und Erleichterungsseufzer müssen weit über den schönen Kleinen Klosterhof des Germanischen Nationalmuseums hinaus gedrungen sein. Die Not der „Verbannung“ in die elektronischen Medien, also des nur indirekten, vermittelten Kunstgenusses, hat aber durchaus positive Kehrseiten. Zum Beispiel, dass diese ION  nicht vergangen ist, sondern  gegenwärtig bleibt. Denn die Live-Streams sind weiterhin abrufbar – wir können uns an den Produktionen noch lange erfreuen und Verpasstes nachholen.

Vor allem aber hat sie so viele Menschen erreicht wie noch nie: Mehr als 125.000 Klicks auf Facebook und Nutzer auf weiteren Kanälen wurden registriert – und viele zappten eben nicht gleich weiter. Eine gründliche Auswertung steht noch aus, aber unterm Strich dürften einige zehntausend ernsthafte Gäste die originell zusammengestellten Auftritte verfolgt haben. Wie intensiv die Beteiligung war, ließen nicht zuletzt ungezählte Kommentare und Fragen erkennen, die über die sozialen Netzwerke eingingen. Viele wollten einfach mehr wissen über Instrumente, Stücke und Musiker. Bis hin zum großen Staunen: „Ich habe zum ersten Mal gesehen, wie ein Organist spielt und was er alles bedienen muss.“

So erreichte die ION ganz neue Gruppen und Schichten von Musikfreunden, gerade auch solche, die sonst von geistlicher Musik vielleicht nicht viel wissen (wollen). Dem Festival und den Nürnberger Kirchen brachte das eine ungeahnte Ausstrahlung ein. „In Zukunft werden wir wohl zweigleisig denken und arbeiten müssen, also mit parallelen Angeboten in klassischer, analoger und in digitaler Form“, kündigt Moritz Puschke schon mal an. Und er will die ION mit einer Art Akademie zugleich zu einem Forum des Austauschs und der Weiterbildung machen, zum Beispiel für Lehrkräfte und Kirchenmusiker aus Kirchengemeinden.

Ein Kraftakt wie in diesem Jahr dürfte freilich nur schwer zu wiederholen sein: Das Programm wurde mit immensem Aufwand erstellt, Einnahmen aber fielen, vom letzten Tag abgesehen, komplett weg. „Wahrscheinlich werden die beiden kommenden Jahre viel schwieriger werden als 2020“, befürchtet Puschke. Mehr noch: Angst und bange ist ihm um die Substanz, also das kirchenmusikalische Leben in den Gemeinden. Die weiterhin bestehenden, massiven Beschränkungen für Proben und Konzerte untergraben die Motivation von Sängerinnen und Sängern wie auch Bläserinnen und Bläsern. Und wenn solide Einnahmen aus den Herbst- und Weihnachtskonzerten wegbrechen, geht das finanziell an die Substanz.

Text und Artikelfoto: Wolfgang Heilig-Achneck