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Ruhe vor und nach dem Sturm
Ruhe vor und nach dem Sturm

Wir alle durchleben Herbststürme. Immer einmal wieder. Einzelpersonen durchleben sie, Familien, Gemeinschaften und Gemeinden auch. Herbststürme dauern kurz oder lang, sind heftig oder einigermaßen auszuhalten. Herbst gehört zum Leben. Er ist Teil fast jeder Entwicklung, wiederkehrend – so, wie die echten Jahreszeiten wiederkehren. Und normalerweise toben im Herbst eben auch die Stürme.

Im Sommer ist mein Gefühl, wie gesagt: „Ich schaffe das!“. Im ruhigen Herbst, nach dem Sturm, dann ein zaghaftes: „Ich traue der Ruhe, genieße die Sonne, sauge das zauberhafte Gold auf und ich gehe mutig neue Schritte“. Zwei ruhige Zeiten mit wunderbar zuversichtlichen Gefühlsmischungen. Nur zwischen diesen Zeiten hat der Sturm manch einen Baum entwurzelt.

Während des Herbststurmes herrschte Katastrophenstimmung. Die Sturmszenarien sind unterschiedlich – aber meistens nicht zum Spaßen. Zerbrechende Beziehungen, Katastrophen und Tod, Gemeinden drohen zu zerbrechen, sicher Geglaubtes stürzt zusammen und zurück bleibt nichts als Staub und Trümmer. Anstelle des „Ich schaffe alles!“ ist jetzt ein: „Wie lange kann ich das noch aushalten?!“ getreten.

Darüber, wie diese Stürme zu meistern sind, gibt es viele Bücher. Die Menschheitsgeschichte hinterließ viel Weisheit über die Stürme des Lebens. Denn sie toben ja zu allen Zeiten. Da wird viel Gutes geraten – ich trage mit diesen Zeilen diesmal wenig dazu bei, außer vielleicht diesen einen Rat: nämlich die Stürme zuzulassen.

Denn wenn man etwa eine Gemeinde als Beispiel heranziehen will, dann gibt es durchaus solche, die sich weigern, den Herbst zu akzeptieren – und das ist nicht gesund! Wenn etwas schiefgeht, dann bleiben solche Gemeinden im Sommermodus des: „Wir schaffen alles“. Die Stürme werden dann weg-erklärt: „Wir müssen halt stärker glauben, mehr beten, inniger fasten, dann kriegen wir die Katastrophe schon unter Kontrolle!“ Pustekuchen! Das ist weder schlau noch biblisch. Nein, Herbststürme gehören – leider – zu jedem Leben. Auch zum noch so frommen. 

Aber dieser kleine Beitrag heißt ja ganz bewusst: „Ruhe vor und nach dem Sturm“ und er will in einem Magazin über die Herbststürme betonen, dass Stürme nicht das Ende sind. Es gibt die gute Zeit davor und die gute Zeit danach. Meistens zumindest.

Ruhe vor dem Sturm: Es gibt den Spätsommer. Erntezeit. Zeit der Kraft. Und die gilt es zu feiern und zu genießen. Ich weiß ja nicht, ob in diesem Herbst ein Sturm kommt – aber wenn ich in der Zeit der Fülle Dankbarkeit ein-übe, wach und bewusst den Reichtum meditiere, demütig genieße – dann habe ich die sommerliche Ruhe gut genutzt und dann bin ich auf einen eventuellen Sturm viel besser vorbereitet.

Ruhe nach dem Sturm: Meteorologisch ist sie oft eine Konsequenz aus dem Gewitter. Und das gilt auch im übertragenen Sinne. 

Wenn ich den Sturm überlebt habe, wenn ich irgendwie an Gott festgehalten habe (nicht notwendigerweise ohne Zweifel und Schreien und Schimpfen und Klagen), wenn ich das Leid überlebt habe, dann ist die Ruhe nach dem Sturm oft von einer größeren Tiefe und Harmonie geprägt als jede Zeit davor.

Wir reifen durch das Leid, gewinnen Tiefe und Bodenhaftung. Sturmbewältigung bewirkt nicht selten Wachstumsschübe an der  Persönlichkeit. Schwarz–Weiß–Denken, das im Sommer gar nicht so selten vorkommt, ist einer differenzierten Vielfarbigkeit gewichen. Ich liebe die Ruhe nach dem Sturm, denn sie ist erstrebenswert. Sie ist ein Zeichen meiner Pilgerschaft:

Ich gehe durch das Leben inklusive der Stürme und lerne, dass meine Existenz paradox ist, dass Leid nicht das Ende ist, dass eine goldene Ewigkeit schon in dieses Leben hineinragt. Das sind große Worte, aber wer die Ruhe nach dem Sturm erlebt hat, kennt diese wunderbare Ahnung, dass da einer ist, der uns durch die Stürme begleitet und dass das, was die biblischen Schriftsteller*innen bekennen, wohl wahrer ist, als wir das je vermutet hätten …

Text: Jan Martin Depner
Artikelfoto: Istockphoto.com