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Sebaldus in der Lorenzkirche
Sebaldus in der Lorenzkirche

So eine Frechheit! Da imitiert ein Lorenzer Pfarrer mit der „falschen“ Kirche in der Hand eine klassische Darstellung des heiligen Sebaldus. Aber halt: Er tut das vor der „echten“ Skulptur am Lorenzer Sakramentshaus. Aber was  hat der Sebaldus denn da überhaupt zu suchen? 

Die Brüstung unseres zauberhaften Sakramentshauses ist von Heiligen umrahmt. Und hier, ganz vorne, an der Nordseite, hat sich die Stifterfamilie mit Wappen zwischen den Heiligenfiguren der Nürnberger Hauptkirchen verewigt. Zwischen Sebaldus und Laurentius. Was für ein schönes Bild: Eine Nürnberger Familie, die beide Kirchen mit Kunstwerken beschenkt und die vor allem in beiden Kirchen lebt; die in beiden Kirchen trauert und feiert, die hier hofft und Kraft tankt. So sollte es doch sein. Natürlich muss der Nürnberger Stadtheilige in der vorreformatorischen Lorenzkirche auftauchen. 

Und Sebaldus tut es in der erwähnten Darstellung am Sakramentshaus (von Adam Kraft, 1494), im Konhofer Fenster (von Michael Wolgemut um 1477) und in einer Außennische des Hallenchores (von Marcus Hirsvogel 1501 gestiftet). Letztere Plastik ist ziemlich beeindruckend und es hat durch die Jahrhunderte wohl immer wieder zum Schmunzeln geführt, dass der Heilige der älteren Schwesterkirche mit dem Blick auf das Lorenzer Pfarramt angebracht wurde: „Muss der wohl darauf aufpassen, was im Lorenzer Pfarrhof passiert?“

Aber wäre das nicht  – so wie das Familienwappen zwischen den Stadtheiligen – wieder ein schönes Symbol des Zusammenstehens der Kirchen in Nürnberg? St. Sebald schaut freundlich auf das Lorenzer Treiben?!

Die Nürnberger Lebenslinie

Menschen neigen immer wieder zu Konkurrenz und Abgrenzung. Das ist ein Schutzmechanismus und hat gesunde Anteile. Das Ideal des Glaubens aber ist die Gemeinschaft. Grenzen zu überwinden, mit hineinzunehmen, den Anderen zu ehren und sich für ihn zu öffnen: Das ist der oft anstrengendere, aber verheißungsvollere Weg der Christen.

Es ist kein Zufall, dass Jesus immer wieder damit aneckte, wenn er sich den Anderen vorurteilsfrei zuwandte, Ausgegrenzte liebevoll hineinholte und Konventionen der Abgrenzung immer wieder durchbrach. Darum freuen mich diese Symbole des Miteinanders unserer Kirchen so sehr.

Man könnte in Nürnberg eine wunderschöne Lebensline zeichnen. Sie beginnt in der Straße der Menschenrechte, dem Symbol dafür, dass jedem Menschen ausnahmslos die gleiche Würde zusteht, führt über den Rat der Religionen weiter über eine gelebte christliche Ökumene und dann durchaus bis zum mittelalterlichen Miteinander aller Nürnberger Kirchen und Kapellen. Und eben auch über das Miteinander der großen Schwesterkirchen, die ja selbst einmal als Filialkirchen von Fürther Gemeinden begonnen hatten. Diese Lebenslinie endet dann da, wo zwei Menschen sich einander öffnen und gemeinsam ihre Probleme, ihr Leben und ihren Glauben teilen. Beziehungsweise beginnt sie da und endet in der Straße der Menschenrechte, die in eine Ewigkeit führt, in der alle miteinander versöhnt sein werden.

Und darum ist es passend, dass wir den Sebaldus in der Lorenzkirche als Zeichen für dieses gesunde Miteinander haben. In völlig anderer Frömmigkeit als der mittelalterlichen stehen die beiden großen Kirchen Nürnbergs für die Geschichte der Nürnberger*innen und sie bleiben Orte der Kraft, an denen man Gott näherkommen kann. Und so ist es auch 2022 ein schönes Symbol, dass unsere namensgebenden Heiligen so unterschiedlich sind. Sebaldus ist nah, hat Lokalkolorit und ist ganz real in der Kirche vorhanden. Laurentius ist weltweit bekannt, liegt aber im fernen Rom und war vermutlich nie in der Gegend, denn Nürnberg gab es da noch gar nicht. Der eine kann uns an die Notwendigkeit des Pilgerns erinnern, der andere daran, die wahren Schätze der Kirche zu suchen.

So ist das Leben, es geht immer darum, sich für das Andere, die Andere, den Anderen zu öffnen.

Selbst in uns drin müssen wir oft ganz unterschiedliche Pole ausbalancieren und zur „Zusammenarbeit“ befähigen. Und immer, wenn dieses „Zusammen“ gelingt, gewinnen wir. Das wird besonders in der Zukunft von großer Bedeutung sein, für die wir leider davon ausgehen müssen, dass unsere Ressourcen als Kirche weiter abnehmen werden.

So freuen wir uns über die Sebaldusdarstellungen in der Loenzkirche. Ich werde künftig nach weiteren Ausschau halten und auch nach Jakob, Klara, Martha, Elisabeth, Ägidius und so weiter suchen. Im Geist sind die auf jeden Fall alle in der Lorenzkirche zu finden.

Text: Jan Martin Depner
Foto: privat