Kunst
Skulpturen, die in Bewegung setzen – Ein Ateliergespräch mit Dietrich Klinge

Zusammen mit seiner Frau hat der Künstler die alte Mühle aus dem Jahr 1413 in ein Ensemble aus Garten, Atelier und Haus umgebaut und liebevoll bis ins Details gestaltet und eingerichtet. Hier findet er die Ruhe, um mit dem Ort und den Dingen, die er gemeinsam mit seiner Frau im Laufe des Lebens gesammelt hat, in einen Dialog eintreten zu können und neue Werke daraus zu schaffen.

Mit Kind und Kegel kamen wir an einem Sonntagnachmittag bei dem Künstlerehepaar an und wurden herzlich von beiden willkommen geheißen. Bei Kaffee und Kuchen erzählte Dietrich Klinge uns von seiner Kunst, seinen künstlerischen Wurzeln und seiner Ausstellung „Et – und auch… Stillschweigende Dialoge in St. Sebald und St. Egidien“, die noch bis zum 31. Juli in beiden Kirchen zu besichtigen ist.

Herr Klinge, was reizte Sie an der Ausstellung in Nürnberg?

Räume haben eine Ausstrahlung, mit der ich als Künstler umgehen und auf die ich reagieren kann. Diese Form des Arbeitens interessiert mich besonders. Im Fall von St. Sebald und St. Egidien hatte ich die Gelegenheit mich mit zwei völlig unterschiedlich wirkenden Räumen und Orten zu befassen, die tief in der Stadtgeschichte Nürnbergs verwurzelt sind. Ich unterscheide zwischen Räumen, wie sie heute gebaut werden, und Orten, die es schon immer gab, deren Bedeutung sich aber im Laufe der Zeit verändert hat. Beide Kirchen sind solche Orte. Besucher und Touristen merken, dass es besondere Orte sind, sonst würden sie sich ja nicht von ihnen angezogen fühlen und hingehen. In St. Sebald war ich schon oft, während ich St. Egidien noch nicht kannte. Wenn man im öffentlichen Raum eine Ausstellung macht, ist ein wichtiger Aspekt, dass man sie so macht, dass sie einem selber Freude bereitet.

Ich nehme mir die Zeit zu schauen, befasse mich mit dem Ort und seiner Raumwirkung und trete mit ihnen in einen Dialog. Als ich so das erste Mal den Kirchenraum von St. Egidien betrat war ich ehrlich gesagt geschockt. Der Bau und der Raum an sich haben mir gut gefallen, so einen Bau kann man heute gar nicht mehr erschaffen. Aber das große Bronzekreuz, war für mich ein Schock. Ich fragte mich, warum man etwas so machen konnte?

Wie meinen Sie das?

Das Kreuz in St. Egidien zerstört den Kirchenraum. Es teilt den Raum in ein Davor und ein Dahinter, also ein Vorne mit Kirchenbänken, Gemeinde und Altar und ein Hinten von großer Leere. Das Kreuz verbindet den Boden – also die Erde – mit dem Gewölbe, dem Himmel. Dadurch kann der Chorraum sich nicht entfalten und über die Höhe des Kruzifixus reißt der Kontakt zum Betrachter ab.

Erst später, in einem zweiten Schritt verstand ich, dass das Kreuz für die Situation in Nürnberg nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs steht: So steht es da wie ein Triumph: wie Phönix aus der Asche aus der Zerstörung erstanden und den Himmel haltend.

Über die Auswahl meiner Plastiken wollte ich diese Situation thematisieren. Zum einen wollte ich auf den Raum, und zwar nicht nur auf den dreidimensionalen, sondern auch auf den gedanklichen Raum hinter diesem Kreuz eingehen und zum anderen das Kreuz, das so weit weg vom Betrachter ist, auf die Erde zurück holen. Schon vom Eingang der Kirche her erkennt man jetzt links neben dem Kreuz eine meiner Skulpturen, eine Kreuzabnahme. Alle drei Skulpturen stellen Momente dar, die man auch chronologisch „hinter“ dem Geschehen am Kreuz verorten könnte. So erinnert beispielsweise die Pietà a Lepp nicht nur an die Schmerzen Mariens, der Mutter Jesu, sondern auch an die Mütter von Aleppo, die am gewaltsamen Tod ihrer Söhne oder Männer und der danach empfundenen Leere verzweifelten. Die Pietà II stellt dann nicht nur eine Kreuzabnahme dar, sondern die Verbindung zwischen zwei Menschen: Die Plastik ist aus einem Holzstamm gemacht, der gespalten wurde.

Wie kamen Sie eigentlich zur Plastik?

Bereits als Kind habe ich gezeichnet und Plastiken gemacht. Mein schönstes Weihnachtsgeschenk damals war ein Oktavbüchlein, in das ich zeichnen konnte. An den Nachmittagen nach der Schule ging ich in eine Art Jugendwerkstatt und habe alle möglichen handwerklichen Dinge ausprobiert. Dort habe ich mit verschiedensten Materialien gearbeitet und auch Plastiken gemacht. Es war also ein sehr experimenteller Umgang mit den Materialien. Nach dem Abitur habe ich eine längere Reise durch Indien und Nepal gemacht, was ein kultureller Schock für mich war. Als ich dann auf die Akademie in Stuttgart kam, studierte ich Freie Grafik bei Peter Grau, Gunter Böhmer und Rudolf Schoofs, anschließend Bildhauerei bei Herbert Baumann und Alfred Hrdlicka. Es war für mich aber eine völlig verschiedene Welt zu der, aus der ich kam.

Bei meinen Arbeiten ging es mir immer auch darum, diese Gegensätze zusammenzubringen, diese Welten zusammenzudenken. Schon ganz äußerlich: Um die teils hohen Materialkosten aufbringen zu können, habe ich phasenweise lange in den unterschiedlichsten Sparten gejobbt. Aber auch inhaltlich versuchte ich diese unterschiedlichen Welten zusammenzubringen: meine Lebenswirklichkeit einerseits und die Wirklichkeit der Akademie andererseits. Das war nicht immer ganz einfach; auch nicht für die Lehrer, weil ich viele Fragen gestellt habe. In dieser Zeit habe ich mit ganz unterschiedlichen Materialien gearbeitet und dann auch Bronzeplastiken angefertigt, die ich anfangs selbst gegossen habe.

Haben Sie damals auch ausgestellt?

Zu dieser Zeit noch nicht. Alle meine Kollegen und Freunde haben immer darauf gewartet. Aber meine erste Ausstellung war erst später, erst 1989. Den Katalog habe ich einem Galeristen in Berlin geschickt, der begeistert war und in Folge einen großen Zyklus von Radierungen, an denen ich drei Jahre gearbeitet hatte, abgekauft hat. Mit diesem Geld konnten wir dann die Mühle kaufen, in der wir heute leben.

Eine letzte Frage bitte, was treibt Sie an?

Zunächst das Material, die inhaltlichen Fragen, dann der Prozess des Schaffens. Das Schönste ist der Moment, wenn etwas gelingt: wenn meine Arbeit eine Beziehung schafft mit Dingen, die vor langer Zeit gemacht wurden. Und das ist genau dieser Dialog hier, an diesen Orten in Nürnberg. Wenn das klappt, ist das wunderbar.

Herzlichen Dank für das Gespräch und den schönen Nachmittag!

(Interview: Adriana Ellermann und Martin Brons,
Fotos: privat und Martin Frischauf)

Ausstellung bis zum 31. Juli
in St. Sebald und St. Egidien

Skulpturenspaziergänge: im Rahmen der Ausstellung finden am 17. Juni und 14. Juli ab 18 Uhr weitere Skulpturenspaziergänge statt.

Auch ein Atelierbesuch ist geplant.
Info und Anmeldung bei Galerie Bode:
Telefon 0911 51 09 200
Email: bode@bode-galerie .de