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Vom Kirchentag zum Büro des Stadtdekans
Tattoo-Geschichten

Hinter (fast) jedem Tattoo verbirgt sich eine Geschichte. Ich war unterwegs, um Tattoos, Menschen und Geschichten zu entdecken.

In Nürnberg ist das ziemlich schwierig, weil keiner sich so recht traut.

Dafür wurde ich auf dem Kirchentag und im Büro des Stadtdekans fündig. Außerdem sind mir noch zwei Tattoosvon Theologiestudentinnen als SMS geschickt worden.

Text & Fotos: Simone Hahn
Foto Seite 8: istockphoto

Heike, 40 Jahre

Beim Kirchentag sitzt Heike sitzt im Garten bei den Franziskanern auf dem Boden und wartet auf den Beginn des „Predigt-Slams“. Auf ihrem Arm ein Tattoo mit geöffneten Handschellen, Gitarre und Frauenköpfen. Ich werde neugierig. Heike überlegt erst, denn sie verbindet doch viel Persönliches damit. Dann fängt sie dennoch an zu erzählen. Es seien genau drei Tattoos. Drei, weil drei für sie das „christliche Beziehungsdreieck“ widerspiegele. Das erste habe sie sich mit 20 Jahren stechen lassen; es stehe für ihre Beziehung zu Gott. Es sei „ein bisschen daneben“, also fotografieren wir es nicht. Das zweite stehe für ihre Beziehung zu sich selbst, und das letzte, das mich neugierig gemacht hat, für ihre Beziehung zu anderen Menschen.

Es sei noch ganz frisch, noch nicht komplett fertig, denn es sei erst vor Kurzem, zu ihrem 40. Geburtstag, gestochen worden. Auf so christliche Symbole wie Engel stehe sie gar nicht, und trotzdem würden alle drei eine christliche Botschaft ausdrücken.   Heike ist Singer-Songwriterin, hat aber ein richtiges Problem, vor Menschen zu musizieren. Am schlimmsten sei es, wenn das Publikum sie persönlich kennt. Sie habe einfach Angst, dass den anderen ihre Musik nicht gefällt.

Dabei bekomme sie unglaublich viel positive Rückmeldung. So spiele sie lieber anonym in Fußgängerzonen. Für nächstes Jahr hat sie sich vorgenommen, durch Großbritannien zu reisen und sich allein durch Straßenmusik zu finanzieren. „Das mache ich, weil ich meine Beziehung zu Gott wieder festigen und über meine Angst hinauskommen will“. Auch das Tattoo soll sie bestärken, bei ihrer Musik zu bleiben. Denn manchmal denkt sie, dass ihre Musik so schlecht sei, dass niemand sie hören sollte. Dann lacht sie schüchtern und sagt: „Aber es ist doch eine Gabe und es wäre doch schlecht, wenn ich meine Talente vergrabe.“

Louis Fabian, 23 Jahre

Auf dem Kirchentag wird mir ziemlich schnell klar, tätowierte Christinnen gibt es viele, tätowierte Christen sind Mangelware. Also eigentlich habe ich keinen einzigen gefunden.Um überhaupt Männer vor das Mikro und die Linse zu bekommen, quatsche ich alle Männer mit Tattoos an. So treffe ich Louis Fabian.

Es ist unschwer zu erkennen: Louis Fabian liebt Tattoos. Er spricht sogar von einer Sucht.

Seine Tattoos hätten alle eine Bedeutung. Entweder würden sie ihn an besondere Lebensereignisse erinnern, oder sie seien da, um mit etwas abzuschließen.  Letzteres leuchtet mir natürlich weniger ein.

Wenn ich was abschließe, dann will ich doch nicht ständig daran erinnert werden, oder? Aber er ist nicht der Einzige, der mir das mit dem Abschließen erzählt. Sein Lieblings-Tattoo sei der Flügel. Er sei kein Engelsflügel, sondern einfach ein Flügel, und stehe für Freiheit. Bewusst auf der rechten Hand, weil er damit alles mache.

Sein erstes Tattoo gäbe es nicht mehr. Es war ein Partner-Tattoo, und als die Beziehung in die Brüche ging, sei es übertätowiert worden. Und wer Harry Potter kennt, erkennt dann schließlich noch auch sein Harry-Potter-Tattoo.

Julian, 19 Jahre

Das Besondere an Julian ist, dass er sich als Einzelhelfer gemeldet hat. Kirche oder Christentum würden in seinem Leben keine Rolle spielen. Aber er wollte seinen „Horizont erweitern, neue Menschen und quasi Abzweige der Welt kennenlernen“. Das gehe am besten auf dem Kirchentag, meint er. Auf meine Frage, ob wir von der Kirche ein wenig „strange“ seien, antwortet er lachend: „Ja, ein bisschen schon!“ Julian mache das alles ehrenamtlich und schlafe auf einer 0,5 Zentimeter dünnen Isomatte. Es gefalle ihm wahnsinnig gut. So hätte er sich entschieden, ein „Painting“ machen zu lassen, weil „das Kirchentagslogo und der Jesus echt geil aussähen!“ Sein erstes und bisher einziges Tattoo sei der Leuchttum zum 18. Geburtstag gewesen. Ein Symbol dafür, dass er den Überblick behalten wolle.

Jan, 22 Jahre

Jan arbeitet seit wenigen Wochen im Büro des Stadtdekans Jürgen Körnlein. Oft sieht man sein Tattoo nicht. Aber bei heißen Temperaturen wird dann doch ein Kreuz sichtbar.  Es sei für ihn eine Erinnerung an seinen Stiefvater. Er half mir in allen Lebenslagen und stand mir bei jedem Problem zur Seite. Er war wie ein zweiter Vater für mich.

Nancy, 34 Jahre

Nancy hat ein Hasen-Tattoo, das für ihren Opa Fritz steht, wie sie sagt. Es solle sie immer an ihn erinnern, denn jetzt lebe er im Pflegeheim, hätte keine eigenen Hasen mehr. Eine innige Beziehung hätte sie zu ihm, sich zusammen mit ihrer Schwester sehr um ihn gekümmert. Als Opa Fritz das Tattoo sah, hätte er gemeint: Jetzt wirst du mich ja gar nicht mehr los!“.

Louisa, 23 Jahre

Sie hätte viele Ideen für Tattoos, aber genauso viel Angst vor dem „für immer“. Für eines habe sie sich entschieden: eine Welle. Die gleiche Welle würden auch ihre zwei Freundinnen tragen, weil alle drei vom Sternzeichen Wassermann

seien. Für sich selbst hätte sie das aber noch weiter gedacht: Die Welle stehe auch für das Auf und Ab im Leben. „Es müsse immer ein Ab geben, damit man das Auf wertschätzen könne.“

Janina, 30 Jahre

Eigentlich habe ich ein Symbol für Geduld gesucht, denn die fehlt mir manchmal. Dabei bin ich darauf gestoßen, dass das Lamm auch ein Symbol dafür sein kann. Diese Doppelbedeutung fand ich super und passend.

Vanessa

Sie hat sich drei Sätze ihres Lieblingsschauspielers tätowieren lassen. Er hätte, wie sie, einiges psychisch durchgemacht. Sie sei in der Schule diskriminiert und gemobbt worden; ihr Selbstwertgefühl sei total im Keller gewesen.

Er sei ein Vorbild für sie darin, wie er damit umgegangen sei. Im Nacken habe sie einen Anker mit dem Satz „Trust yourself“. Durch die Kirchengemeinde und die Arbeit in Gruppen sei ihr Selbstbewusstsein wieder gestiegen. Der Anker stehe dafür, dass es für jeden Menschen einen Platz gibt, an dem er sich „verankern“ könne.

Stefan, 29 Jahre

Stefan hätte zwar noch keines, aber er will sich ein Tattoo stechen lassen. Ein ganz bestimmtes. Eines, das es nur in Jerusalem geben würde. Bei koptischen Christen sei es Tradition, dass sie sich ein kleines Kreuz auf das Handgelenk stechen lassen, wenn sie zum ersten Mal in Jerusalem sind (Was es genau damit auf sich hat, steht in dem Artikel von Martin Brons auf S. 17). So eines wolle er auch. Wann, das stehe leider noch in den Sternen.