Kirche
Reformation statt Deformation.
Über PuK, den neuen Kirchengeist.

Ein Begriff geistert derzeit durch unsere Kirche: PuK. Das ist die Abkürzung für den 2016 angestoßenen Reformationsprozess „Profil und Konzentration“, der das kirchliche Denken und Handeln in den nächsten Jahren sicher vielfältig bestimmen wird.
Schlägt man diesen Begriff bei Wikipedia nach, erfährt man folgendes: „Der Puk ist eine zwergenwüchsige Figur der nordischen Sage, die mit den Menschen zusammen lebt. Den Menschen erscheint er im Normalfall durch seine Tarnkappe unsichtbar. Zuweilen nimmt er eine Art Geistform an. Wird der Puk gut behandelt, so ist er in der Lage, das Wohlergehen der Bewohner und deren Tiere positiv bis hin zum Reichtum zu beeinflussen. Wird er jedoch schlecht behandelt, fügt er den Bewohnern schwere Schäden zu, die nicht selten in Wahnsinn oder mit dem Tod enden.“
Eine Art Tarnkappe hat unser Kirchen-PuK derzeit schon noch auf. Das muss er wohl auch, denn seine Entwicklung ist ja längst nicht abgeschlossen. Alle kirchlichen Handlungsebenen sollen dazu in einem breiten Prozess eingebunden werden. Identifikation gibt es in unserer Kirche nur, wenn ein Prozess nicht von oben verordnet wird. Alle sollen mitreden, ihre Ideen einbringen und ihre Ängste äußern dürfen. 2016 fand noch nicht mehr – aber auch nicht weniger – statt als ein „Kick-Off“ für eine Entwicklung, die uns alle beschäftigen wird.

Doch warum braucht es so einen Prozess überhaupt? Ist so ein neuer Kirchengeist denn nötig?
Die Synodalpräsidentin Dr. Annekathrin Preidel hat diese Fragen auf der Herbsttagung der Synode im letzten Jahr so beantwortet:

„Vieles ist gut in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche. Und wenn etwas gut ist, dann neigen wir Menschen dazu, es für selbstverständlich zu halten und es nicht mehr wertzuschätzen, weil wir glauben, dass es noch lange so weitergehen wird. Wer die Kirche und die Welt, in der er sich zu Hause fühlt, für selbstverständliche Gegebenheiten hält, läuft Gefahr, gleichgültig zu werden und eine Mentalität des ‚Na, und?’ zu entwickeln. Wenn wir als Kirche dieser Gefahr erliegen würden, könnten wir sagen: ‚Im Durchschnitt mehr als 20.000 Kirchenaustritte pro Jahr in Bayern fünfhundert Jahre nach der Reformation? Na, und? Es geht uns doch trotzdem noch hervorragend!’ Wir könnten sorglos und verantwortungslos nach vorne schauen und aus der rosigen Vergangenheit auf eine rosige Zukunft unserer Volkskirche schließen… Wir könnten sagen: ‚Terror? Flucht? Failed states? Eine brennende Welt? Na, und?
Irgendwann werden sich die Zustände wieder normalisieren.’ Wir könnten sagen: ‚Klimawandel? Erderwärmung? Na, und? Das hat es auch früher schon gegeben! Und wenn schon: Nach uns die Sintflut!’ Wir könnten sagen: ‚Nationalismus und Rechtsextremismus in Europa nehmen zu? Na, und? Das legt sich wieder. So schlimm wird es schon nicht kommen. Die Generationen vor uns haben viel Schlimmeres erlebt’ Das alles könnten wir sagen. Wir könnten uns in unserer Kirche und in unserer Welt in Sicherheit wiegen und es nicht wahrhaben wollen, dass der Firnis unserer Zivilisation dünner wird und dass die Fundamente unserer aufgeklärten Moderne vom Fundamentalismus angefressen werden und bröckeln.

Wir könnten aber auch das Gegenteil tun. Wir könnten in den Chor der Schwarzseher und in die Kassandrarufe unserer Zeit einstimmen und die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Kirche in düsteren Farben malen. Wir könnten uns der Depression überlassen und seufzen: ‚Es hat ja eh alles keinen Wert. ‚Profil und Konzentration’? ‚Haushaltsvorsteuerung’? ‚Versorgung’? ‚Barmen’? ‚AG Herberge’? ‚Reformationsjubiläum’? Das sind doch alles nur Tropfen auf den heißen Stein! All diese Aktivitäten werden die Erosion unserer Kirche nicht aufhalten und ihr Ende nicht abwenden können!’ Wir könnten es als unausweichlich hinnehmen, dass politische und religiöse Barbarei und archaische Ängste in unsere hochtechnologisierte, vernetzte liberale und plurale Moderne zurückkehren…

Es gäbe aber auch noch eine dritte Möglichkeit: Wir könnten uns daran erinnern, dass wir Christenmenschen sind. Wir könnten uns daran erinnern, dass wir das Licht der Welt und das Salz der Erde sein sollen. Wir könnten uns daran erinnern, dass wir Christen das Zeug zum Gegenentwurf haben. Es gibt eine Alternative jenseits von Augenverschließen und Schwarzmalerei. Der christliche Glaube ist diese Alternative. Er vertritt nicht die Haltung des ‚Na, und?’, sondern des ‚Und trotzdem!’ Weder Verharmlosung noch Panikmache sind christliche Haltungen. Uns retten weder die Sprachspiele des ‚Weiter-so!’, des ‚Kopf in den Sand!’, des ‚Augen zu und durch!’ noch des ‚Wir-schaffen-das-nie!’ Uns retten einzig und allein das Wort und der Geist des Evangeliums. Und weil dem so ist, sollten wir evangelisch-lutherischen Christen uns fünfhundert Jahre nach der Reformation nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern mit dem Evangelium im Herzen, mit dem Wind des Heiligen Geistes im Rücken und mit den Geistesblitzen Martin Luthers im Kopf in die Zukunft der Reformation aufbrechen. Denn es braucht in unserer Zeit und in unserer Welt Menschen, die geistesgegenwärtig evangelische Zeichen setzen. Treten wir also im Jubeljahr der Reformation und in der zweiten Halbzeit der Synodalperiode ein für Reformation statt Deformation der Kirche. Setzen wir im Geist der Reformation in Wort, Tat und Gestaltung Zeichen des Protests gegen eine aus der Form geratene Kirche, welche die Zeichen der Zeit verschläft!“ (aus der Eröffnungsansprache der Synodalpräsidentin vom 21. November 2016)

Wer mit unverstelltem Blick auf die kirchliche und gesellschaftliche Entwicklung schaut, merkt, dass wir um eine neue Profilierung unserer Kirche nicht herumkommen werden. Noch immer gibt es zu viel Bürokratie, unsinnige Strukturen, Ämter-Dünkel, Geldverschwendung und Beamtenmentalität. Es gibt Sicherheitsdenken statt Mut zur Innovation. Wir betreiben lieber Nabelschau als uns den Problemen der Welt zuzuwenden, zum Beispiel im Hinblick auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Das muss sich ändern, wenn wir glaubwürdig Kirche sein wollen. Dabei geht es keineswegs nur um Neuverteilung knapper werdender Finanzen oder um neue Organisationsstrukturen, sondern um einen zutiefst theologischen Prozess. PuK versteht sich als Chance, unsere Kirche geistlich neu zu profilieren. Unter den veränderten Rahmenbedingungen und im Kontext gesellschaftlicher Trends soll der Auftrag unserer Kirche neu durchbuchstabiert werden. Konzentrierter und profilierter soll unser Arbeiten werden. Nicht immer noch mehr sollen wir leisten, sondern zielgerichteter uns auf unsere wichtigsten Aufgaben konzentrieren. Dazu gehört eine stärkere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, mehr Teamorientierung, bessere Vernetzung kirchlicher Arbeitsbereiche, die Weiterentwicklung des Ehrenamts und die Notwendigkeit, stärker als bisher in Räumen und Regionen zu denken. Und über all dem die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der heutigen Welt nicht zu verschlafen. Kommunikativer soll unsere Kirche also werden – und damit geistvoller. Schließlich steht der Heilige Geist in der Bibel für geglückte Kommunikation.

Bei der Frühjahrssynode in Coburg wird die Begleitgruppe Vorschläge für „Arbeitspakete“ einer solchen Kirchenentwicklung vorlegen. Die Tarnkappe des PuK-Geistes wird damit ein Stück weiter abgenommen. Wir sind neugierig. Und hoffen, dass sich mit Gottes Hilfe und gemeinsam ein Geist daraus entwickeln lässt, den wir gerne sorgfältig und gut behandeln. Dann wird der PuK-Geist unser aller Wohlergehen positiv beeinflussen und verhindern, dass wir im Wahnsinn oder mit dem Tod enden. Und übrigens: Zwergenwüchsig muss PuK keineswegs bleiben. Mit Gottes Geist kann ein großer Wurf daraus werden.

Text: Ulrike Wilhelm
Bild: iStockphoto