Kunst
Leben im Zeichen zunehmender Ungewissheit
Unterwegs zum Paradies?

„ZwischenWelten“ – unter diesem Titel stellt die Naturhistorische Gesellschaft (NHG) in der laufenden Sonderausstellung in ihrem Museum Quellen, Felsen, Höhlen, Moore und andere Orte der Natur vor, die unseren Vorvorfahren heilig waren. Aber warum „ZwischenWelten“? Vielleicht zwischen dem Diesseits und Jenseits, besondere Plätze, herausgehoben und dem Alltag entrückt? Oder anders: Plätze zwischen einer von Menschen unbewohnten und unberührten Natur und der Existenz dieser Wesen, die sich in Evolution und Geschichte „die Natur“ mehr und mehr angeeignet und unterworfen, sie erobert und nach ihren Bedürfnissen zu gestalten versuchen.

Und unser Dazwischen? Auf den ersten, oberflächlichen Blick ist es immer bestimmt, beispielsweise von Jahreszeiten und Vorgaben des Kalenders – von den Unterrichtsphasen zwischen den Ferien (oder umgekehrt) bis zu den Amtsperioden zwischen Wahlterminen oder den Geschäften zwischen zwei Jahresabschlüssen.

Auch die Kirche macht keine Ausnahme: Christen leben seit jeher in der Spannung zwischen entschiedenem Engagement in der und für die Welt und radikaler Abkehr, und sei es durch den Rückzug ins Private.
Wahrscheinlich leben wir in gewisser Weise seit jeher in Zwischenwelten. Vor allem seit die Menschheit die Vorstellung von einem „Fortschreiten“ der Zeit entwickelt hat. Statt eines ewigen Kreislaufs sollte es immer voran gehen, im Zweifel von einer schlechteren Vergangenheit zu einer besseren, ja paradiesischen Zukunft. Und für viele ist es ja auch so: Das neue Handy ist viel besser als das alte – und von der Krebsbehandlung erwarten wir geradezu selbstverständlich das gleiche.
Natürlich tauchen immer wieder mal nostalgische Sehnsüchte nach der vermeintlich guten, alten Zeit auf. Aber am Ende lassen wir uns mitreißen von der Hoffnung auf eine erneute und stetige Aufwärts-Entwicklung – dafür lohnen sich, heißt es dann, Blut, Schweiß und Tränen.

Und so entsteht ja überhaupt erst „Geschichte“: Schicht um Schicht folgt auf einander – und alle sind aufs engste verwoben. Das Juden- und Christentum haben an dieser Sicht maßgeblichen Anteil: Nach der Schöpfungsgeschichte entstand die Welt nicht an einem Tag, sondern Schritt für Schritt. Und für Juden wie Christen ist der Sinn des Lebens in der Geschichte Gottes mit den Menschen zu finden. „Ein Tag, der sagt’s dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit“, dichtete Gerhard Tersteegen. Vor allem im frühen Christentum und im Mittelalter und noch in der Barockzeit erschien den Menschen das Leben auf Erden als unvollkommen und bedrängt, vorläufig und im besten Fall ein schöner Schein – also als Durchgangsstation. Erfüllung und Erlösung aber warten erst im Jenseits.

Und in welchem „Dazwischen“ leben wir heute? Die Stich- und Schlagworte sind präsent, als da wären – um nur die auffälligsten Beispiele zu nennen: Donald Trump und der „Brexit“, der Krieg in Syrien mit all seinen Folgen, Terror und weltweite Wanderungs- und Fluchtbewegungen, dazu das Verleugnen und Nicht-Wahrhaben-wollen von offenkundigen Phänomenen und ihren Ursachen, allen voran des Klimawandels, dazu aberwitzige Transaktionen an den Börsen, nie gekannte Informationsfluten und und und…

Klar ist nur eins: Frühere, lange vertraute Gewissheiten, gleich ob echt oder nur eingebildet, sind zerbröselt, wenn nicht ganz verschwunden. Amerika – schon bald kein Freund mehr? Europa – ein hohles Konstrukt? Großveranstaltungen, selbst Weihnachtsmärkte, nur noch in Hochsicherheitszonen?

Aber das geht, wenn nicht alles täuscht, längst viel weiter und ans Eingemachte, nämlich an das große Denkmuster, es könne letztlich nur bergauf gehen. Nur mit tiefer Skepsis und abgrundtiefen Zweifeln hält sich die Überzeugung, die Geschichte bringe, wenn auch mit vielen Um- und Abwegen, letztlich einen Fortschritt. Natürlich werden weiter technische Fortschritte gefeiert, ja massiv und planmäßig betrieben und gefördert. Und nicht weniger klammern sich Politik und die Akteure in der Wirtschaft an die Idee vom permanent erforderlichen und anzustrebenden Wachstum. Aber eben auch das gilt nicht mehr als ausgemacht. Immer kritischer wird gefragt: Wie kommt es zustande? Gibt es nicht unterschiedliche Arten von Wachstum, also rücksichtslos zerstörerische und verträgliche? Und sind die Errungenschaften wirklich den Preis wert, zumal beispielsweise Umweltbelastungen in der Rechnung oft gar nicht auftauchen?

So bekommt die Frage nach unserer Zwischenwelt noch eine eigene Wendung: Wir sind nicht dazu verdammt, den vermeintlichen Lauf der Dinge einfach passiv hinzunehmen. Und dass ihr Leben von Gewissheiten bestimmt sein sollte, war Christen auch nie verheißen und versprochen.

Text: Wolfgang Heilig-Achneck
Foto: iStockphoto.com, Scacciamosche