Kirche
Jan Martin Depner
Vom wilden Hongkong zurück nach Franken

Nicht normal aber war, dass das Lutherisch Theologische Seminar, ein ausgesprochen ungewöhnlicher Ort ist. Ungewöhnlich spannend. Ungewöhnlich ökumenisch. Ungewöhnlich malerisch. Hier werden nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer aus Hongkong auf den Dienst in der Gemeinde vorbereitet, sondern auch zukünftige Theologieprofessoren für die chinesische Kirche ausgebildet. (Die chinesische Kirche wächst nach wie vor stetig und tausende Pfarrer warten dringend auf theologische Ausbildung.) Und schließlich studieren Theologen aus ganz Südostasien auf dem bewaldeten Hügel, auf dem das Seminar liegt, und für die war ich hauptsächlich zuständig. So habe ich zum Beispiel Doktoranden aus Myanmar, Indonesien, Japan und Thailand begleitet, und auf vielen Reisen in die Herkunftskirchen unserer Studierenden konnte ich das kirchliche Leben in Malaysia, Kambodscha, Taiwan, Vietnam, Laos, Singapur, Korea (u.s.w.) kennenlernen.

Ich bin unserer bayerischen Landeskirche (Mission EineWelt) sehr dankbar dafür, dass ich diese Erfahrung machen konnte. Weil viele Studierenden auch im Seminar wohnten, ergab sich ein intensives ökumenisches Zusammenleben, das gelegentlich bis in unser Wohnzimmer schwappte. Auch auf den vielen Reisen in der Region habe ich ein sehr buntes, vielfältiges Christentum erlebt, das in extrem unterschiedlicher Weise seinen Glauben ausdrückt und dessen Vertreter am LTS wie in einem großen ökumenischen Experiment unter einem lutherischen Dach ihre Traditionen austauschen und voneinander lernen. Unterrichtende und Studierende kommen wirklich aus aller Welt – vor Kurzen zum Beispiel eine Nürnberger Studentin – und meine Familie und ich hatten oft das Gefühl: So sollte Kirche sein! So vielfältig, so bunt und so neugierig auf die Erfahrungen der Geschwister anderer Kulturen. Mit der Unterhaltung zweier Pfarrstellen an diesem Seminar unterstützt unsere Landeskirche eine der interessantesten Ausbildungsstätten der Welt mit einer riesigen Außenwirkung nach ganz Südostasien hinein und wieder zurück. Zurück nach Bayern: denn schließlich ist es ja Jesu Auftrag an uns, dass wir voneinander lernen sollen.

Jetzt aber freuen wir uns riesig, dass die Rückkehr nach Franken geklappt hat. Und dann auch gleich noch in unsere Traumstadt und mit St. Lorenz auch noch an eine der traumhaften Innenstadtgemeinden! Aber – nicht nur wegen des Titels dieser Ausgabe der Citykirche: Es war auch nicht ganz leicht loszulassen. Wir mussten uns von vielen lieben Freunden verabschieden, einem lieb gewordenen Kontinent den Rücken kehren und das Lebensgefühl loslassen, als Gast zu leben. Ich würde zwar ohne mit der Wimper zu zucken behaupten, dass Hongkong mir zur Heimat geworden ist – meine Kinder zum Beispiel sind in Vielem richtig typische Hongkonger –,
aber natürlich sind wir immer Besucher geblieben, sind aufgefallen und sprachen kein Chinesisch. Das hatte durchaus auch seine Vorteile. Jetzt in Nürnberg sieht man uns nicht mehr auf den ersten Blick an, dass uns das Ein oder Andere noch recht fremd vorkommt, während uns das wilde Hongkong, das so viele liebenswerte Seiten hat, das freundlich ist, effektiv, sicher und über weite Strecken zauberhafte Natur bietet, uns in mancher Hinsicht noch viel vertrauter ist  als die fränkische Metropolregion.

Nürnberg und besonders die Menschen der Innenstadtgemeinden haben uns unglaublich freundlich empfangen. Zu viert sind wir Neu-Nürnberger jetzt gespannt darauf, an welcher Stelle wir an unsere asiatischen Erfahrungen anknüpfen können und wo an unsere fränkischen. Ein erster Eindruck von Stadt und Gemeinde lässt vermuten, dass es da viele Möglichkeiten geben wird. Nicht nur die internationalen Besucher der Lorenzkirche scheinen sich anzubieten, auch die Tatsache, dass ich jetzt zehn Jahre lang Spiritualität unterrichtet und erforscht habe, wird sicher bei meiner neuen kombinierten Stelle aus Citykirche und Touristenseelsorge die ein oder andere Möglichkeit eröffnen, in zeitgemäßer Weise über unseren Glauben zu reden und ihn zu feiern.

Soweit also ein paar Sätze zu mir und meinen letzten Jahren. Aufgewachsen bin ich in Frankfurt am Main und dann mit dem Hauptstudium in Erlangen in die Nähe Nürnbergs gekommen. Mein Vikariat genoss ich südlich von Nürnberg, in Eysölden (Thalmässing) und dann lebte ich für elf Jahre nordwestlich: in Herzogenaurach.

Mit einer weiteren Frage, die uns als Familie so oder so ähnlich im Augenblick sehr häufig gestellt wird, will ich diese kurze Vorstellung jetzt auch beenden: „Seid ihr froh, jetzt noch rechtzeitig aus Hongkong raus gekommen zu sein?“ Die Antwort ist ein klares: Nein! Im Gegenteil: Gerade jetzt würden wir die Millionen Hongkonger in ihrem überwiegend freundlichen Protest gern noch unterstützen. Nach zehn Jahren verstehen wir die Sorgen der Bewohner dieser einzigartigen Stadt, in der man auch heute noch sicher und gut leben kann, nur allzu gut. Jetzt beten wir also aus der neuen Heimat für Hongkong.

Ich grüße Sie herzlich, bis bald,

Ihr Jan Martin Depner

Text & Fotos: Jan Maartin Depner