Gesellschaft
– Loslassen als Seelsorgerin
Von Booten und Teekannen

Die Boote, die Menschen – sie entschwinden wieder. Was aber ist mit den Eindrücken, die ihre Geschichten in mir hinterlassen? Ich kann sie nicht abschütteln wie Straßenstaub. Trotzdem sind Seelsorger und Seelsorgerinnen nur „Orte auf Zeit“ für Geschichten und Gefühle, die ihnen anvertraut werden.

Wenn ich am Abend zurückschaue auf das, was ich gehört und erlebt habe, überlege ich mir, wo für diese Geschichten und Eindrücke jetzt ein guter Ort ist. Manchmal zünde ich am Ende eines Arbeitstages für die Menschen und alles, was sie mir erzählt haben, in der Jakobskirche eine Kerze an. Mit dem Licht lasse ich dann dort auch die Eindrücke des Tages zurück.

Manchmal ist der „gute Ort“ das Sprechzimmer eines erfahrenen Kollegen, eines Supervisors oder einer Supervisorin. Bei Wahrung der Anonymität kann ich dort über das, was ich gehört habe und was das Gehörte in mir ausgelöst hat, Zweifel, Ängste, Ratlosigkeit, noch einmal nachdenken und so mich selber und meine Reaktionen besser verstehen.

Und dann ist da meine Küche. Dort gibt es ein Regal mit ein paar alten silbernen Teekannen, Fundstücke aus Trödelläden. Sie haben Beulen und Kratzer, mal klappert ein Deckel, mal ist die eine oder andere Befestigungsschraube locker. Die schwarzen Bakelit- oder Holzgriffe sind abgewetzt. Auf einer Teekanne ist mit krakeligen Buchstaben ein Name eingeritzt: Belinda…

Mit der Zeit werden sie dunkler und verlieren ihren Glanz. „Ich könnte sie mal wieder putzen“, denke ich mir dann. Und immer, wenn mich die Geschichte eines Klienten, einer Klientin besonders beschäftigt, nehme ich eine zur Hand, suche Silberputzmittel und Schwamm. Es dauert. Ich muß mich konzentrieren. All die Ecken und Kanten und Verzierungen brauchen Geduld und Aufmerksamkeit. Irgendwann ist das Dunkle abgeputzt und abgespült. Jetzt noch polieren – und die Teekanne glänzt (fast) wie neu. Mit dem Spülwasser sind die Bedrückungen, die ich mit nach Hause genommen habe, den Ausguß hinabgegurgelt. Was bleibt, ist eine silbern schimmernde Teekanne auf meinem Küchenregal…

Text: Pfrin. Barbara Hauck, Offene Tür – Cityseelsorge an St. Jakob
Artikelfoto: iStockphoto