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Von Gottesdiensten in Wohnzimmern und Reisebussen
Von Gottesdiensten in Wohnzimmern und Reisebussen

Unser Klaus brachte mich auf die Idee.

Klaus ist großer 1.-FCN-Fan, Mitte 60, trägt sein Herz auf der Zunge – und ist der Busfahrer, der uns seit Jahren zur Konfi-Freizeit und zum Gemeindeausflug fuhr. In dieser Funktion und mit seiner raubeinigen Art hatte er schon Konfis und Senioren gleichermaßen zu mehr Ruhe und Ordnung im Bus ermahnt. Da machte er keine Unterschiede.

Wiederholt hatte er darum gebeten, einmal im Gottesdienst Lektor sein zu können. Dadurch brachte mich Klaus in die Bredouille: unsere liturgischen Lektoren waren geschult, seit Jahren verantwortungsvoll und stolz in ihrem Amt. Wenn ich plötzlich Klaus aus freundschaftlicher Verbundenheit mit ins Team geholt hätte, wäre dies ein Affront gewesen.

Auf der Fahrt zur Konfi-Freizeit wiederholte er seine Bitte, einmal Lektor sein zu dürfen. Da kam mir die Idee: nicht Klaus kommt in die Kirche, sondern die Kirche kommt zu Klaus. Wir feiern Gottesdienst in seinem Bus.

Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten waren eh mein Markenzeichen. Während einer Fortbildung zum Thema Gottesdienst war mir die Idee gekommen, „Wohnzimmerkonzerte“ zu verlosen. Die Idee lag nicht fern: in Ermangelung von Kirchen hatten die ersten Christen in ihren Wohnhäusern Gottesdienst gefeiert. Befreundete Musiker von mir verlosten seit Jahren Wohnzimmerkonzerte mit großem Erfolg. Jede Pfarrerin und jeder Pfarrer kommt auf Anfrage selbstverständlich bei Trauerfällen zur Aussegnung und zu gebrechlichen oder kranken Mitgliedern ihrer Gemeinde zum Hausabendmahl nach Hause. Nur klingt das alles wenig einladend, innovativ oder modern – der Begriff „Wohnzimmergottesdienst“ hingegen schon. Natürlich sollte dieser nicht den sonntäglichen Kirchgottesdienst ersetzen. Sondern ein aus der Not geborenes Zusatzangebot, weil schon längst nicht mehr alle Mitglieder der Gemeinde in die Kirche kommen. Mir kam diese Idee im Advent 2018 und der Zeitpunkt war perfekt: im Advent sind die Menschen sowieso offener für kirchliche und spirituelle Aktivitäten. Ich stellte diese „Wohnzimmergottesdienste“ in die sozialen Medien des Internets – und innerhalb kürzester Zeit hatten sich zahlreiche Interessenten gemeldet. Bei einem Konzert verloste ich dann insgesamt fünf Gottesdienste und verschenkte noch welche an Anfragende, die mich besonders gerührt hatten, z. B. an eine Schlaganfall-Selbsthilfegruppe.

Für Kirchenpuristen sind solche Gottesdienste natürlich unvollkommen: keine Orgel, keine Kirche, keine Glocken. Das Unvollkommene war aber auch der Charme: bequeme Sessel im Wohnzimmer, behagliche Wärme, musizierende Familienmitglieder, ein Kind läutet ein Glöckchen.

Ich hatte zuvor mit den Familien verabredet, dass ich mich voll auf deren Vorstellungen einlasse: Also je nach Wunsch in Talar oder Anzug. Falls im Wohnzimmer die Schuhe ausgezogen werden müssen, dann natürlich auch in Socken. Hätte eine Schwimmschule den Gottesdienst gewonnen, hätte ich ihn auch in Badehose gehalten. Die Liturgie gab ich in etwa vor: Lieder, Gebete, biblische Lesung, Ansprache, Segen.

Diese Wohnzimmergottesdienste waren sehr rührend – Familien hatten extra Lieder einstudiert, alle Stühle des Hauses in Bankreihenform angeordnet, Kinder hielten Lesungen, Körbchen wurden gefüllt für gute Zwecke, bekennende Kirchenferne beteiligten sich engagiert an diesen Gottesdiensten. Und das mediale Interesse war überwältigend, auch, als ich diese Aktion dann zum Valentinstag 2019 für Paare und deren Freunde und Angehörige wiederholte.

Mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf, dass etwas auf den ersten Blick so Unvollkommenes und Improvisiertes so viel Strahlkraft und Emotion bewirken konnte, fiel es mir leicht, Klaus einen Gottesdienst in seinem Bus vorzuschlagen.

Auch hier waren das mediale Interesse und die Begeisterung der Bevölkerung groß: die 48 Plätze des Busses waren schnell verlost, sodass mindestens ein zweiter Bus hätte gefüllt werden können. Der Dekanatskantor spielte auf einem als „Reiseorgel“ titulierten und für seinen musikalischen Anspruch sicher unvollkommenen Keyboard. Wir fuhren bei strahlendem Sonnenschein durch die fränkische Schweiz, sangen dabei „Geh aus mein Herz und suche Freud“ und „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“. Ein Schöpfungspsalm und die Ansprache, in der ich das Leben mit einer Busreise verglich, luden zum Nachdenken ein. Und an einer Stelle mit herrlichster Aussicht feierten wir Abendmahl. Dazu stand der Bus und für die angemessene Würde dieser sakramentalen Handlung war gesorgt.

Als wir zum Schluss wieder zu unserem Ausgangspunkt fuhren und gemeinsam den Refrain von „Irische Segenswünsche“ sangen „Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott uns fest in seiner Hand“ hatte nicht nur Klaus Tränen der Rührung in den Augen.

Seitdem ist viel passiert: Ein zweiter Busgottesdienst etwa, der uns bei Dämmerung am „Buss“(!)- und Bettag 2019 ins Fichtelgebirge führte. Oder die Corona-Einschränkungen. die uns zu alternativen Gottesdienstformen über YouTube, Radio oder zum Selberlesen und -halten zwangen.

Wie bei Wohnzimmer- und Busgottesdienst habe ich dabei erlebt, wie vermeintlich unvollkommene Konzepte vollkommen begeistern können.

Inzwischen haben mich Kolleginnen und Kollegen nach dem Konzept der Wohnzimmergottesdienste gefragt und auch danach, ob ich ein Patent darauf angemeldet hätte. Ich gebe Konzept und Erfahrungen sehr gern heraus. Dazu versichere ich schmunzelnd, dass das Patent darauf die ersten Christen hätten anmelden müssen, und diese meines Wissens keine Copyright-Ansprüche stellen, wenn irgendwo Wohnzimmergottesdienste gefeiert werden.

Da gemeindliches Abendmahl derzeit schwierig in Gottesdiensten durchführbar ist, habe ich mir ein neues „unvollkommenes“ Konzept überlegt: Abendmahl auf Bestellung. Wenn Sie am diesjährigen Buß- und Bettag allein, mit Familie oder Freunden – unter Achtung aller Regeln – nicht aufs Abendmahl verzichten möchten, komme ich zu Ihnen nach Hause. Sie stellen Brot, Traubensaft oder Wein, ich komme mit Gebet, Bibellesung, Einsetzungsworten und Segen. Rufen Sie bei Interesse dazu bitte ab dem 10. November unter 0174/1618001 an oder schreiben Sie mir eine E-Mail an hannes.schott@elkb.de

Hannes Schott ist seit August Pfarrer an St. Jakob. Sein erstes Buch „Raus aus dem toten Winkel. Ein innovativer Blick auf die Zukunft der Kirche“ ist Ende September im Kösel-Verlag erschienen.

Text: Hannes Schott
Artikelfoto: privat