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Interview mit Ruth Ceslanski, der jüdischen Vorsitzenden der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
„Weiter tragen, was bisher Zeitzeugen erzählten“

Begegnung, Dialog und Überwindung von Vorurteilen und Vorbehalten: Dafür steht, wie wenige andere in der Stadt, Ruth Ceslanski. Im Hauptberuf Übersetzerin, lebt sie privat eher zurückgezogen, aber als jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken ist sie vielen Bürgern bekannt – erst recht allen, die sich ebenfalls für Verständigung und vor allem die Überwindung des Antisemitismus engagieren. Der Citykirche stand sie für ein paar Fragen Rede und Antwort.

Seit über 70 Jahren versuchen die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit – mit vielen Partnern – die alten Vorbehalte und tief verwurzelten Haltungen der Abwehr und Abwertung zu überwinden. Trotzdem erleben wir wieder eine erschreckende Welle von üblen Beschimpfungen und roher Gewalt gegen jüdisches Leben in Deutschland. Waren alle Bemühungen vergeblich?

Ruth Ceslanski: So pessimistisch bin ich nicht. Ich glaube, wir haben durchaus einiges erreicht – und mit „wir“ meine ich natürlich nicht nur unsere Gesellschaft und alle, die uns unterstützen oder begleiten. Zugleich erschüttert es mit mir sicher viele Menschen, diese offenbar tief sitzenden Stereotypen und Vorurteile zu erleben, mehr noch: diese Abneigungen und Aggressionen. Dabei gehören wir doch alle zu einer Gattung, so unterschiedlich das Aussehen sein mag, aber unter dieser dünnen Schicht sind alle gleich. Das zu begreifen, kann eigentlich nicht so schwer sein. Wie da rassistische Einstellungen überhaupt möglich sind, kann ich irgendwie nicht nachvollziehen.

Hilft es vielleicht, sich darüber zu wundern, dass sich manche durch Abwertung anderer besser fühlen – und das offenbar für ihr Ego benötigen?

Wir müssen an die Wurzeln ran, wie Rassismus entsteht, das bedeutet ja keineswegs, dass wir uns alle lieben müssten. Respekt sollte allerdings das Mindeste sein. Aber ich bin keine Psychologin – und ich bezweifle, dass wir allein mit Psychologie weiterkommen. Ich glaube: Da sind letztlich alle gefordert, von der Politik über die Wirtschaft bis zur Kultur – und jeder einzelne in seinem Bereich. 

Seit sieben Jahren vertreten Sie Ihre Religion im Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Und jeder, der Sie trifft, spürt: Sie sind mit einer großen Portion Herzblut dabei. Wie kam es dazu? 

Ich gehöre ja schon zu einer Generation, die erst nach der Schoah geboren wurde. Ich kann nicht aus eigener Erfahrung von Verfolgung und Erniedrigung im Alltag der NS-Zeit und all den Gräueln in den Konzentrations- und Vernichtungslagern berichten. Aber natürlich war ich in meiner Familie ganz unmittelbar mit dem Verlust von Angehörigen und Berichten von Überlebenden konfrontiert. Nur: Bald sind keine Zeitzeugen mehr unter uns. Deshalb will ich dazu beitragen, sozusagen ein Fenster aufzumachen, um weiterzutragen, was diese bisher erzählen konnten. Jetzt kommt es darauf an, die jüngere Generation neu anzusprechen.

Wie soll und kann das gelingen?

Ich glaube, der Etz-Chaim-Pokal unserer Gesellschaft ist ein guter Ansatz. Er wandert seit ein paar Jahren von einer Schule zur nächsten und ist jeweils Anstoß und Verpflichtung, sich auf kreative Weise mit Ausgrenzung und der Überwindung von menschenverachtenden Einstellungen auseinanderzusetzen. Jede Schule ist aufgerufen, sich etwas einfallen zu lassen und möglichst viele Schülerinnen und Schüler zu beteiligen. Die bisherigen Ergebnisse sind beachtlich – wir freuen uns, dass das Projekt selbst in Corona-Zeiten nicht ganz auf Eis gelegt war.  

Oft werden Jüdinnen und Juden in Deutschland auf politische Positionen und Probleme von und in Israel angesprochen. Ärgert Sie das oder empfinden Sie das als verletzend?

Nein, es ist nur einfach vollkommen abwegig und unpassend. Für mich ist Israel gewiss ein besonderes Land, dem ich mich verbunden fühle. Aber ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und lebe hier gerne – und bin keine Staatsbürgerin von Israel. Wir Juden in Deutschland haben weder Einfluss noch Verantwortung für das, was dort geschieht – so sehr es uns berühren mag. Und es wird auch unter uns manchen geben, der das politische Geschehen und die Regierung kritisch beurteilt. Aber das Land und der Staat selbst haben auch für Jüdinnen und Juden eine Bedeutung, die ihn nicht als ihre Heimat sehen.

Zur Person

Geboren und aufgewachsen ist Ruth Ceslanski in Ansbach. Ihr Vater hatte das KZ überlebt, starb aber, als sie gerade mal zwei Jahre alt war. Ihr deutlich älterer Halbbruder Rudi hatte das Glück, mit einem Kindertransport nach England der sonst sicheren Vernichtung zu entgehen. 

Selbstverständlich seien in ihrer Familie, erinnert sie sich, Schabbat und die Feste gefeiert worden. Aber ein Rabbiner kam nur ab und zu aus Nürnberg in die Markgrafenstadt. 

Die offene, unorthodoxe Mutter empfahl der Tochter, sich den katholischen und den evangelischen Religionsunterricht „einfach mal anzuhören“. Doch da sei sie sich im Innersten ihrer Identität bereits gewiss gewesen.  

Interview: Wolfgang Heilig-Achneck
Artikelfoto: privat