Innenstadt
„Sucht im Alter“ ist Thema der Diakonie
Wenn der Alkohol das Leben bestimmt
Kummer und Einsamkeit sind im Alter manchmal Gründe für eine Alkoholerkrankung

Georg Stößner (Name von der Redaktion geändert) war in seinem Beruf stets erfolgreich. Trotzdem empfand er die letzten Arbeitsjahre als sehr anstrengend. Deshalb freute er sich auf seinen Ruhestand, um endlich Zeit für Hobbys und für gemeinsame Reisen mit seiner Ehepartnerin zu haben. Jetzt ist er 68 Jahre alt und viele seiner Träume sind geplatzt.

Zuerst hat ihn der Übergang von einer 60-Stunden-Arbeitswoche ins Rentnerleben von heute auf morgen kalt erwischt. Dann kam auch noch die Nachricht, dass seine Frau an Krebs im fortgeschrittenen Zustand litt. Ein paar Monate später starb sie. Jetzt lebt Stößner allein in einem viel zu großen Haus im Osten Nürnbergs.

Kummer und Alkohol

Sein einziger Trost: das Glas Wein, wenn er abends vor dem Fernseher sitzt. Doch der seelische Schmerz will nicht nachlassen. Bald trinkt er täglich eine Flasche Wein, aber auch das reicht nicht mehr, um seinen Kummer und seine Einsamkeit zu vergessen.

Bei der jährlichen Routineuntersuchung wird Stößner von seinem Hausarzt auf alarmierende Blutwerte angesprochen. Der Arzt gibt ihm die Telefonnummer einer Beratungsstelle. Erst nach ein paar Tagen fasst er Mut und ruft beim Suchthilfezentrum der Stadtmission an.
„Das ist für viele die größte Hürde“, weiß deren Leiterin Erica Metzner. „Wer bei uns anruft, muss auf einen ersten Termin aber höchstens drei Wochen warten.“ Die Menschen, die sich im Suchthilfezentrum beraten lassen, seien ein Abbild der Gesellschaft, erzählt die 54-jährige Sozialpädagogin. Demnach kommen 70 Prozent wegen Problemen mit ihrem Alkoholkonsum in die Beratung, 25 Prozent konsumieren illegale Drogen und die anderen haben viel Geld bei Glücksspielen und Wetten verloren – auch im Internet – oder sie sind abhängig von Medikamenten, die ihnen verordnet wurden.

Das sei bei älteren Menschen gar keine Seltenheit, erzählt Metzner: „Sie bekommen von Ärzten Rezepte für Beruhigungs- und Schlafmittel, die ein hohes Suchtpotential haben.“ Oft komme es dann zu Stürzen und Verletzungen, die im hohen Alter lebensbedrohlich sein können. Verstärkt wird dieses Risiko, wenn Medikamente und Alkohol gemeinsam geschluckt werden.

Nachlassen der Aufmerksamkeit

„Suchthilfe im Alter ist kein Randthema mehr“, betont Susanne Ehrler, die als Referentin im Diakonischen Werk Bayern in Nürnberg arbeitet. „Im Alter werden die Nerven im Gehirn feinfühliger für Alkohol.“ Das könne zum Nachlassen der Konzentration und der Aufmerksamkeit führen und damit zu vermeidbaren Unfällen.

 Das hat auch die Stadtmission Nürnberg erkannt. Ende November geht das dreijährige Projekt „SAM“ zu Ende. SAM steht für „Suchtgefährdete alte Menschen“ und wird vom bayerischen Gesundheitsministerium gefördert. In vier stationären und ambulanten Altenhilfeeinrichtungen wurde das Personal geschult. Das Ziel war eine verbesserte Versorgung für älter werdende Suchtkranke. Nun muss Ministerin Melanie Huml entscheiden, welche Konsequenzen aus dem Projekt SAM gezogen werden.

 „Es gibt keinen Königsweg“

Georg Stößner hat unterdessen seinen ersten Gesprächstermin im Suchthilfezentrum gehabt und gleich noch weitere Termine vereinbart. 25 Menschen arbeiten in der Beratungsstelle in der Krellerstraße 3, unweit des Rathenauplatzes. „Es gibt keinen Königsweg, um sich von seiner Sucht zu befreien“, erklärt Leiterin Metzner. Es müsse zuerst herausgefunden werden, was der einzelne für ein lebenswertes Dasein braucht. Das können Einzel- und Gruppentherapien sein oder die Vermittlung in eine stationäre Einrichtung.

Allerdings will Erica Metzner Alkohol nicht grundsätzlich verdammen. Aber sie warnt: „Wer Alkohol trinkt, soll einen wachsamen Blick auf sich selbst haben.“

Das Suchthifezentrum der Stadtmission ist im „Christine-Kreller-Haus“ in der Krellerstraße 3, 90489 Nürnberg, Telefon 0911 37 654 200, Internet: stadtmission-nuernberg.de

Text: Paul Schremser
Artikelfoto: Diakonisches Werk Bayern

Kommentar

Die bayerische Diakonie geht davon aus, dass 1,4 Millionen Menschen im Freistaat alkoholabhängig sind. Alkohol ist die Droge Nummer eins in unserer Gesellschaft. Mit zunehmendem Alter nimmt die Gefährlichkeit des Alkohols noch zu und belastet die Gesundheit und unsere Sozialkassen. Trotzdem ist die Werbung für alkoholische Getränke vor allem bei Sportveranstaltungen und -übertragungen im Fernsehen erlaubt. Während Politiker mit Recht vor den Gefahren von Cannabisprodukten warnen, gehört das Anzapfen des ersten Bierfasses bei Volksfesten zur ehrenhaften Handlung derselben Politiker. Wer aber in Gesellschaft zu einem Glas Wasser greift und nicht gerade schwanger ist, wird all zu schnell verdächtigt, ein Alkoholproblem zu haben. Auch deshalb fällt es alkoholkranken Menschen schwer, ihr Leben entscheidend zu verändern, zumal wenn sie zur Generation der Senioren gehören. Die Diakonie hat Recht, dem Thema Sucht im Alter die fehlende Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Info

„Sucht im Alter“ ist das Thema der Herbstsammlung des Diakonischen Werks Bayern, die am 13. Oktober mit den Gottesdiensten um 8.30 und 10 Uhr in St. Sebald eröffnet wird (siehe Highlight Seite 36). Dazu sagt Diakoniepräsident Michael Bammessel: „Der Charme an der Sammlung ist, dass viele Menschen mit kleinen Beiträgen insgesamt etwas Gutes und Großes erreichen können.“ Beratungsstellen der Diakonie machen Präventionsangebote und sie helfen Suchtkranken und ihren Angehörigen mit psychosozialer Beratung und Behandlung bis hin zur Rehabilitation. Mit den Spenden der Herbstsammlung werden diese Angebote unterstützt, wobei 70 Prozent im Nürnberger Dekanat bleiben. Die Spendenkonten der vier Innenstadtgemeinden stehen auf den Seiten 64 und 65, Verwendungszweck: Herbstsammlung der Diakonie.

Erica Metzner leitet das Suchthilfezentrum der Stadtmission Foto: Stadtmission Nürnberg