Kirche
Vier außergewöhnliche Gefühlsräume werden hier von vier unterschiedlichen Besuchern beschrieben.
Wenn ich meine Kirche betrete …

Vier Räume. Schatzkammern. Festsäle. Unzählige Menschen, die kurz mal hereinschneien und viele, viele, die hier Heimat gefunden haben. Emotionale Heimat. Dass eine der vier großen Nürnberger Kirchen eine „Liebe auf den ersten Blick“ wurde, ist auch nicht selten. Ich kenne diese Frau aus dem Norden, die vor vierzig Jahren zufällig einmal hereinstolperte und seitdem jedes Jahr einmal wieder herkommen „muss“, um zu schweben, aufzutanken, zu genießen.

Vier außergewöhnliche Gefühlsräume werden hier von vier unterschiedlichen Besuchern beschrieben.

St. Lorenz erspüren

St. Lorenz muss man nicht erst betreten. Noch bevor man einen Fuß in die Kirche gesetzt hat, sieht und spürt man schon von Weitem ihre Ausstrahlung. Ihre prächtigen hohen Türme prägen das Weichbild von Nürnberg. Und sie ist so frei: Auf dem Weg vom Bahnhof direkt zur Burg stellt sie sich einem einfach in den Weg. Unübersehbar. Sie verlockt, einzutreten. Überraschend, wie schlicht das ist: Der Boden der Stadt verlängert sich einfach in den Kirchenraum. Keine Treppen oder Aufgänge inszenieren den Eingang. Links, auf der Seite des menschlichen Herzens, ein herzlicher Willkommensgruß. Gastfreundschaft wird großgeschrieben.

Noch einige Schritte bis zum Mittelgang. Da tut sich mir der Raum auf. In seiner unfassbaren Höhe und Länge. Wie viele andere zwingt der Raum auch mich hier erst einmal, stehen zu bleiben. Zum Schauen. Zum Wundern. Es braucht etwas Zeit, bis man sich orientiert hat. Das Mittelschiff ist breit. Die Kirchenbänke laden zum Verweilen ein. Ich setze mich. Schon wächst der Raum um mich herum noch höher. Die mächtigen Pfeiler rechts und links tragen Gewölbe in schwindelnder Höhe und geben hinter sich spärlichen Einblick in die halbschattigen Seitenschiffe. Komischerweise fühle ich mich nicht klein. Und tatsächlich stellt sich ein Gefühl ein, wie im Bauch eines großen Schiffes dahinzufahren. Fast neunzig Meter Raum vor mir. Da hat alles Platz: mein Aus- und Einatmen, meine Sehnsucht nach Freiheit, mein Wunsch nach Geborgenheit. Die Gedanken pendeln, die Augen schweifen. St. Lorenz gibt Raum zum Atemholen und wirkt auf mich – trotz seiner Größe und Weite – auch wie eine Glucke, die mich schützend unter ihre Flügel nehmen kann. Nicht viele Großkirchen schenken diese bergende und zugleich freiheitliche Anmutung.

Text: Andrea Felsenstein-Roßberg

St. Jakob emotional betrachtet  

St. Jakob,

auf den ersten Blick

eine Kirche.

Auf den zweiten Blick

die etwas andere Kirche.

Ein Ort auf dem Jakobsweg.

Ein Ort der Pilgerfahrt –

im Kleinen wie im Großen.

Ein Ort des Aufbruchs zu einer Reise.

Einer Reise zu Gott,

einer Reise zu anderen Menschen –

und einer Reise zu sich selbst …

Ein Ort des Innehaltens.

Nachdenkens.

Reflektierens.

Und Gestaltens.

Ein Ort der tiefen Begegnung.

Ein Ort der Seele.

Der Cityseelsorge.

Ein Ort, an dem weinende Seelen sprechen dürfen und gehört werden.

Jeder wird angehört und angesehen;

genießt bei uns Ansehen.

Dies unabhängig von den Kriterien, die beim Rest der Welt eine Rolle spielen.

Aber auch ein traditioneller Ort.

Ein Ort, an dem Tradition nicht mit Schlamperei verwechselt wird.

Ein Ort, an dem Neugierde herrscht.

Neues kann sich entwickeln – Innovation und Tradition.

Beides hat Platz.

Beides braucht es und tut uns gut.

Gemeinschaft:

Gemeinsam statt einsam.

Ein Ort mit starkem Zusammenhalt.

Gemeinschaft wird erlebbar.

Leben in Gemeinschaft.

Leben und Lachen.

Leichtigkeit:

Ein Ort der dazu beitragen will,

den Menschen etwas Last zu nehmen –

und in ihnen etwas Lust zu wecken.

Auf das Leben.

Die Lust, sich selbst und andere neu

zu entdecken – auch Gott …

Nur Mut:

Ein Ort, der Mut macht, seine eigenen Wege zu gehen.

Ausgetretene Pfade zu verlassen.

Forscher des Lebens zu werden.

Wohlwissend:

Ich bin nicht allein.

Du bist nicht allein.

Wir sind nicht allein.

St Jakob:

Bei uns steht Kirche im Zeichen der Entwicklung,

der Zukunft –

und vor allem der Menschen.

Ein Ort, fast unabhängig von Raum und Zeit.

Ein Ort für die Ewigkeit.

Eine Heimat im Herzen.

Die jederzeit und überall offen steht –

auch offline.

Der Draht nach oben ist und bleibt

frei zugänglich.

Für Dich.

Für mich.

Für uns.

St. Jakob

Text: Nicole Kobjoll

St. Sebald von innen

Wieder einmal sitze ich in der Infobox der Sebalduskirche. Es ist ruhig und zu dieser Jahreszeit um 16 Uhr schon fast dunkel. Mir hallt die Frage meines Mannes im Ohr nach: „Was willst du denn immer in dieser Kirche?“ Ich denke darüber nach. Ja, was ist es, das mich für den Dienst in der Kirche so sehr begeistert?

Es sind die Menschen, die in die Kirche kommen. Die ein Gespräch suchen und über Fragen zu den Kunstwerken plötzlich ihr Herz öffnen. Diejenigen, die sich freuen, wiedererkannt zu werden, wenn sie wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit die Stadt und auch die Kirche besuchen. Oder die, die weinend in der Kerzenecke sitzen und ihr Herz ausschütten möchten; diejenigen, die nach Jahrzenten, inzwischen im Ausland lebend, die Kirche besuchen, in der sie getauft, konfirmiert oder getraut wurden, sich wohlig in die Bänke sinken lassen und wieder zuhause fühlen.

Es sind die Überglücklichen, die das Taufbecken mit Hingabe schmücken, in dem ihr erstes Kind getauft wird; die Verliebten, die ihrer Angebeteten auf dem Turm einen Heiratsantrag machen und verzaubert zurückkommen, weil er angenommen wurde. Aber auch die Zweifelnden, die ihren Glauben verloren haben und trotzdem darüber reden möchten. Diejenigen, die unheilbar krank sind und, losgelöst von der Fürsorge der Familie, ganz sachlich darüber erzählen möchten – über das Ende – und ob es wirklich das Ende ist. Es sind die, die über einen Hinweis auf die Christmette mit Auszügen aus dem Weihnachtsoratorium glücklich sind und dabei vergessen, dass sie diesen Abend ganz allein verbringen müssten, wäre da nicht diese Kirche.

Es ist aber auch das Licht, das durch die Fenster scheint, es sind die wunderbaren Kunstwerke, die freundlich blickenden Heiligen im Mittelschiff, die ergreifenden Konzerte ebenso wie die Gottesdienste.

All dies löst tiefe Gefühle in mir aus und lässt mich meinen Dienst in und an der Kirche in Freude tun.

Text: Inge Marvé

St. Egidien betreten

Die Egidienkirche durch das Hauptportal zu betreten, ist für mich eine Mischung aus Respekt vor dem Haus Gottes und dem Eintreten in einen Raum, mit dem ich seit Jahrzenten vertraut und in dem ich auch zuhause bin. Als ich 1972 am Egidienplatz zugezogen bin, war meine erste nähere Begegnung mit der Kirche der (Viertel-)Stundenschlag, der mir nachts den Schlaf raubte, bis ich mich daran gewöhnt hatte, und das Morgen- und Abendläuten, das mir heute nun, in meinem neuen Haus, fehlt.

Viele wichtige Stationen meines Lebens haben direkt oder indirekt mit dieser Kirche zu tun: Beginnend mit der Konfirmation, über die daraus entstandene Jugendgruppe im Keller unter der Sakristei (über zehn Jahre lang), hin zu vielen Veranstaltungen, die mit dieser Gruppe und durch meine Musikgruppe erlebt und mitgetragen wurden.

Jugend-, Familien-, Weihnachtsgottesdienste, Feierabendmahle, Blaue Nächte, Kinderbibeltage, Sommerfeste, der große Kirchentag … Meine erste große Liebe habe ich in diesem Gebäude kennengelernt. 24 Jahre war ich im Kirchenvorstand. Meine Kinder sind hier getauft worden. Nur meine eigene Hochzeit konnte ich nicht hier feiern, weil die Kirche damals renoviert wurde. Ich kenne das Gebäude, seine akustischen Besonderheiten, die Technik, den Sanierungsbedarf. In schweren Zeiten setzte ich mich nachts allein in die Kirche (ich hatte damals einen Schlüssel), um mit dem Jesus am Kreuz zu reden.

Dadurch habe ich eine sehr persönliche Beziehung zu der Bronzefigur entwickelt. Und so ist für mich durch die große Tür hereinzukommen wie Heimkommen zu jemandem, der auf mich wartet.

Text: Martin Preiser