Gesellschaft
Wie ist es, die Kirche zu verlieren?

Gespannt erwartete ich Ihre Reaktionen auf meinen Artikel über die Studienreise des Prodekanats Nürnberg-Mitte nach Amsterdam (Heft 59).
Welche Emotionen würden die Gedanken in Ihnen hervorrufen? Ärger oder Langeweile, Aufregung und Zuspruch, Verwirrung mit Resignation, und über all dem so viel Mut und Elan, dass Sie in die Tasten greifen und mir mailen würden?

Und schon kam die erste Antwort. Mit der eindrücklichen Bitte um Differenzierung zwischen dem, was Menschen vermögen, und dem, was Gott wirkt. Die Kirche also ein Ort, an dem beides zusammen, miteinander, füreinander, durchdringend und doch voneinander getrennt geschieht: Menschentat und Gotteswort. Es lohne sich, darüber nachzudenken, wer und was in der Kirche handelt. Und wozu!
Ein Herr S. fragt, was die Hauptaufgabe der Kirche ist, wenn Traditionen zwar weitergegeben werden, aber diese dann auf einen vollkommen individualisierten Glauben treffen: „Der individuelle Glaube geht von ‚Ich glaube an die Heilige Schrift Wort für Wort‘ bis ‚Ich glaube an einen abstrakten Gott‘. Aufgrund so einer Bandbreite wird Gemeindearbeit schwierig.

Es stellt sich die Frage, welche Glaubenden sprechen wir an, wollen wir ansprechen. (Gehen Sie doch auf die Seite der Kirchengemeinde in Obermichelbach! Dort steht noch mehr Interessantes.)“ Wir wollen möglichst alle Menschen ansprechen und trotzdem reagieren immer weniger. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine Wirklichkeit von Anfang an. Das Evangelium wird bezeugt, „das durch das Wirken des Heiligen Geistes Glauben weckt, aber nicht immer und überall tatsächlich Glauben findet“ (Härle, Dogmatik, S. 580). In vielen Reaktionen wird die wachsende Anonymität in der Kirche beklagt. Zugleich habe ich Tipps bekommen, wie das Ansprechen persönlicher sein könnte. Zu viele haben die Erfahrung gemacht, dass unterteilt wird in Insider und Gäste. Neuankömmlinge hätten es schwer in Gemeinden, weil sie „übersehen“ würden. „Tische der Begegnung“, an denen man zusammenkommt, essen und trinken kann, aber vor allem miteinander ins Gespräch kommt, könnten eine Lösung sein. Dahinter erkennbar ist der „Wunsch nach offener Herzlichkeit und Geborgenheit“. Eine Schreiberin meint, die Ursache für die derzeitige Situation liege in der Kirchengeschichte. Zu oft sei der moralische Zeigefinger erhoben worden. Jahrhundertelang sei die Kirche lebens-, leib- und lustfeindlich gewesen. Zum Glück und zum Segen für sie habe sie aber andere Pfarrer kennengelernt und andere Predigten gehört.

Wie ist es, die Kirche zu verlieren? – Niemand hat geschrieben: „Endlich! Wird höchste Zeit.“ Natürlich nicht, denn die so denken, nehmen ein Kirchenmagazin wie die Citykirche nicht in die Hand. Aber absolut leidenschaftliche Antworten und kreative, verrückte Höhenflüge waren auch nicht dabei. Also alles so weiter wie bisher? Nein, bitte nicht! Die Frage, was die Aufgabe der Kirche jetzt ist, ist dringend zu beantworten. Daraus ergeben sich Schwerpunkte und sinnvolle Konzentrationen. „Ich habe versucht, den Firnis der Gewohnheit wegzuwischen. Ich wollte das Eigenartige des Christentums ermessen“, sagt der französische Schriftsteller und Philosoph Emmanuel Carrère im ZEIT-Interview über sein neues Buch „Das Reich Gottes“. Darin erklärt er den Gottlosen das Christentum. Dieses Eigenartige aber fasziniert ihn und wirkt inspirierend. Was eben nicht Gewohnheit ist und Alltag weckt Emotionen und daraus entsteht Handeln.
Letztendlich geht es wohl darum, dass wir wieder entdecken, wie aufregend das Evangelium ist, und eben ganz und gar nicht langweilig, wie ein Konfirmand neulich provozierend behauptete.
Ganz herzlichen Dank an alle, die mir geschrieben haben. Begeistert habe ich alles gelesen und bin froh, dass es so kreative und interessierte Menschen wie Sie gibt!

Text: Simone Hahn
Bilder: iStockphoto.com