Gesellschaft
Wohnungsnot? Von wegen! „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen …“
Das himmlische Jerusalem am Sebaldusgrab

Doch leider gibt es auch Menschen, die sofort umziehen würden, wenn sie denn könnten. Ich vermute: Wer nicht selbst gerade eine Wohnung sucht, kennt zumindest jemanden, der auf der Suche ist – und das meist ohne Erfolg. Jesus sagt: In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. (Joh. 14,2) Jeder, der verzweifelt nach Wohnraum sucht und keinen bezahlbaren findet, wird den Kopf schütteln. Fast sarkastisch kommen diese Worte Jesu dann rüber. Viele Wohnungen? Schön wär’s!

Lange ist es her, Gott sei Dank, dass die Kirche mit solchen Worten vertröstet hat: Hier auf Erden ein irdisch Jammertal? – nicht schlimm, denn dort im Jenseits, nach dem Tode, wartet die himmlische Herrlichkeit auf uns. Also durchhalten, das Leid aushalten und warten auf das jenseitige Paradies. Das war schlichtweg menschenverachtend. Und falsch. Und wo heute noch so im Namen der Religion irdisches Leid weggeredet wird, da machen Menschen sich schuldig.

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Mir ist da immer das wunderbare Bild des Sebaldusgrabes in der Sebalduskirche vor Augen. Steht man vor dem Grabmal und blickt ganz nach oben, so erspäht man als oberste Etage die himmlische Gottesstadt Jerusalem. Drei „Hochhäuser“ im gotischen Stil ragen gen Himmel. Sie erinnern an italienische Baukunst vergangener Zeiten. So hat man sich damals das himmlische Jerusalem vorgestellt: In Gottes Haus sind viele Wohnungen … Noch heute ist das großartig anzusehen – aber was werden erst die Nürnberger im 15. Jahrhundert empfunden haben, wenn sie diese Pracht mit Türen, Fenstern und Säulen vor Augen hatten? Damals wären selbst die kleinen Wohnungen in der heutigen Nürnberger Altstadt wahre Paläste gewesen, so drückend eng und niedrig wohnte man. Schmutz, Gestank, mangelnde Hygiene und die permanente Brandgefahr sorgten definitiv nicht für Wohnkomfort …

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Ich höre diese Worte auch mit anderen Ohren.
Denn auf „Wohnungssuche“ kann man auch im Glauben sein. Welcher Glaube, welche Frömmigkeitsform passt für mich? Traditio-
nell mit Orgelmusik oder eher freikirchlich mit Lobpreisliedern? Und wie ist das mit den anderen Religionen und Konfessionen? Und wenn ich mehr Zweifel habe als festen Glauben?

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Mich befreit dieses Wort von allen Engführungen. Das Haus Gottes, das Haus des Glaubens, ist kein eintöniger Nullachtfünfzehn-Bau. Es gibt so viele unterschiedliche Facetten des Glaubens wie es Wohnungen gibt: vom hippen modernen Loft bis zur 2-Zimmer-Wohnung im Charme der 50er Jahre. Das ist die Vielfalt des Glaubens. Wie spannend zu entdecken, wie Menschen wohnen und glauben. Wenn man sich darauf einlässt, auf diese Vielfalt!

Und die Wohnungsnot in unserer Stadt? Ich wünschte, ich hätte einen Geheimtipp für alle, die suchen. Habe ich leider nicht. Vielleicht Sie? Dann her damit …!

 

Text: Annette Lichtenfeld

Foto: Herbert Liedel