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Ziel: Ein lebendiges Miteinander
Ziel: Ein lebendiges Miteinander

Die Stadt Nürnberg hat sich im Jahr 2020 bekanntlich um den Titel der europäischen Kulturhauptstadt beworben. Im Zuge dieser Bewerbung wurden wir als Israelitische Kultusgemeinde im Sommer 2020 ins Kulturrathaus eingeladen. Die Juden der Stadt sollten in der Bewerbungsschrift auch erwähnt werden. Die vorgestellten Konzepte und Inhalte  wurden ohne Rücksprache mit der jüdischen Gemeinde Nürnbergs entwickelt. Unserer Meinung nach waren die Ideen weder relevant für Nürnberg, noch nahmen sie das jüdische Hier und Jetzt zur Kenntnis.
Ein Projekt, das die Beteiligten nicht mitnimmt, ist zum Scheitern verurteilt.

Am Horizont zeichneten sich schon die mannigfaltigen Vorbereitungen anlässlich des Jubiläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ in Nürnberg ab. Die Befürchtung war groß, dass wiederum Themen wie  Friedhöfe, alte, renovierte Synagogen, in denen keiner mehr betet, Ritualgegenstände und die Schoah im Mittelpunkt der Feierlichkeiten stehen würden. 

Und so kam es auch. Menschen, gutmeinende Menschen, haben sich der Sache angenommen. Experten allesamt oder auch solche, die meinten, Experten zu sein. Fast immer ohne diejenigen, die es betrifft. Gönnerhaft unterbreitete man dann die Ergebnisse und erwartete stehenden Applaus von den Betroffenen. Man ist anwesend, wird aber nicht zur Kenntnis genommen. Fremdbestimmt. Das sogenannte „blühende jüdische Leben“ in unserem Land, die jungen Juden, der Neuaufbau, die neuen Aufgaben, Integration und das echte Leben, spielten eine untergeordnete oder keine Rolle. Ich will aber auch nicht verschweigen, dass es auch einige wenige Initiatoren gab, die durchaus mit Weitblick und Trennschärfe die richtigen Leute an Bord genommen haben.   

Bei einem Gedenkjahr, das 1700 Jahre umfassen soll, besteht natürlich auch immer die Gefahr einer Verklärung der Vergangenheit. Pogrome, Morde, Verfolgung und Leid der Juden spielten aber während dieser 1700 Jahre eine große Rolle, wenn nicht eine traurige Hauptrolle. 

Nüchtern betrachtet bleiben vielleicht 80 Jahre, von denen man sagen kann, dass es ein gleichberechtigtes und glückliches Nebeneinander zwischen deutschen Juden und der Mehrheitsbevölkerung gegeben hat.

Dabei hat sich mir natürlich die Frage aufgedrängt, für wen sind denn die „1700 Jahre“ so wichtig? Und warum gerade jetzt? Die Beantwortung dieser Frage überlasse ich den geneigten Lesern.

Bei meiner Rede zur „Nacht der Schande“ im November 2020 habe ich dann zum ersten Mal auf das Fehlen jeglicher zentraler Orte des Erinnerns an einen wichtigen Teil des reichen und blühenden Lebens in Nürnberg hingewiesen.   

Was haben die Politiker Max Süßheim und David Morgenstern, die Frauenrechtlerinnen Elise Hopf und Else Dormitzer, die Industriellen und Mäzene Carl Marschütz und Heinrich Berolzheimer und der Erfinder des Tempo-Taschentuchs Oskar Rosenfelder, der Hopfenhändler Ludwig Freiherr von Gerngross, der Physiker und Mathematiker Professor Ludwig Hopf gemeinsam? Ja, sie waren Juden und Nürnberger und alle stolz, Nürnberg in der ganzen Welt berühmt gemacht zu haben. Und dies sind nur einige wenige Persönlichkeiten, ohne die Nürnberg nicht Nürnberg geworden wäre. 

Die vorher erwähnte Idee war, es sollte ein zentraler Ort in unserer Stadt entstehen und zwar mitten in der Stadt, ein Ort der Erinnerung, der Aufklärung und des Nachdenkens. Wir wussten auch damals schon, dass es bereits viele Aktivisten in Nürnberg gab, unter denen sich zum Beispiel Studierende der Architektur befanden, die gerade zu dieser Zeit, (oder endlich, 75 Jahre nach Kriegsende) unter der Leitung ihres Professors Michael Stößlein, einen Ort der Sichtbarkeit jüdischen Lebens als Bachalorarbeit planten: Ein Gebäude, eingebunden in die Topografie der Stadt. Während dieser Rede bat ich also den Oberbürgermeister, ein solches Projekt auf die Prioritätenliste zu setzen.

Aus dieser Gemengelage haben wir diese Vision dann gemeinsam mit der Stadt Nürnberg nach und nach modifiziert. Der Spannungsbogen soll in das Hier und Jetzt führen. Gemeinsam Judentum erleben, Spaß und Freude vermitteln und immer wieder Begegnungen. Klar ist, dass unsere kleine Gemeinde zwar den Anstoß geben kann. Den Stab übernehmen und das Gesamtkonzept erstellen sollten dann aber andere. 

Beabsichtigt ist die Einrichtung eines Fachgremiums, das – mit Fachleuten der verschiedenen infrage kommenden Disziplinen besetzt und natürlich mit mehreren starken jüdischen Stimmen – das Projekt formt und das Konzept erstellt. Ihm zur Seite stellen wir einen Beirat. In diesem Beirat sollen alle politischen Ebenen vertreten sein, damit das Projekt von Anfang an mit der unbedingt notwendigen politischen Unterstützung konkret wird. Am 24. März beschloss der Stadtrat einstimmig eine Resolution, die unter anderem beinhaltet, dass eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben wird für eine Begegnungsstätte. Dieses Projekt ist jetzt an der Stadtspitze angesiedelt, mit Oberbürgermeister Marcus König an der Spitze. Ein Aktionsplan besteht bereits.  

Inzwischen hat sich ein Gemeinderat in der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg (IKGN) gebildet und über Inhalte diskutiert. Im Sommer sehen wir uns noch einmal. Danach kommt es zu einem Treffen mit den Verantwortlichen der Stadt Nürnberg. 

In der ersten Sitzung hat das Gremium die folgenden Inhaltsschwerpunkte erarbeitet: Kein weiteres Museum in Nürnberg, sondern eine lebendige Stätte des Miteinanders. Dem Antisemitismus entgegentreten mit Offenheit und Aufklärung. Die meisten unserer Mitbürger*innen haben noch nie einen Juden gesehen. Kein Wunder, denn bei der Anzahl der in Deutschland lebenden Juden (rund 120.000), ist es wahrscheinlicher im Lotto zu gewinnen, als einen Juden zu treffen. Es gibt ein Bild vom Juden, das geprägt ist von jahrtausendealten Vorurteilen. Aber „echte“ Jüdinnen und Juden, selbstbestimmte Menschen, die sich hier in Deutschland zu Hause fühlen, die hier ihre Bräuche und Traditionen pflegen, darüber hat man sich bis jetzt zu wenig Gedanken gemacht. Man weiß also wenig über das Judentum. Dies soll sich ändern. 

Mit Darstellung zeitgenössischen jüdischen Lebens, jüdischer Literatur, Theater, Kino, Tanz und Malerei, Wechselausstellungen, Einführungen in die jüdische Religion und Vorträgen zu dem, was uns verbindet oder trennt und wie wir zusammenkommen. Was sind die Charakteristika der jüdischen Religion, deren Ethik, und warum verstehen sich die Juden als „Schicksalsgemeinschaft“ und die Beziehung zum jüdischen Staat. Und immer wieder braucht es Inseln zum Innehalten: welche Persönlichkeiten jüdischen Glaubens haben hier vor der Nazidiktatur gelebt, was haben sie gemacht und was ist für immer verloren gegangen? Die Lerninhalte werden zusammen erarbeitet.

Dazu Ruheorte zum Entspannen, Rückblicken, Innehalten, zum Lesen. Ein Café, ein Restaurant sind angedacht. Wie schmeckt koscheres Essen und  wie bereitet man es zu? Warum ist bei den Juden die Beschneidung der männlichen Nachkommen so wichtig? Öffnung für alle, Jung und Alt, offen für alle Ethnien und Religionen – mit Diskussionen, Workshops und Seminaren.

Ein Begegnungsort dieser Ausrichtung wäre einmalig in Deutschland und stünde unserer Stadt gut zu Gesicht. Eine breite Zustimmung zu erfahren für diese Idee, von allen Parteien des politischen Spektrums und vielen Mitbürger*innen, war sehr beeindruckend und hat uns mit Dank und Freude erfüllt. 

Zunächst folgt also eine Machbarkeitsstudie.

Ich möchte es nicht versäumen, dem Oberbürgermeister Marcus König, der Kulturreferentin Julia Lehner und den Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Parteien für ihre Solidarität und ihre Unterstützung für das Projekt besonders zu danken. Dank auch an alle Menschen, die uns geschrieben und die uns ermuntert haben. Wir hoffen, dass sie uns weiter begleiten werden.

Möge das Begegnungszentrum bald entstehen.

Text: Jo-Achim Hamburger